Pazifist mit angeschlagener Reputation

Die Wahl des Schriftstellers Ibrahim Rugova zum neuen Präsidenten des Kosovo ist im ersten Anlauf gescheitert

An Reputation hat er schon in den letzten Jahren verloren. Der Schriftsteller Ibrahim Rugova, einst als „Gandhi des Balkans“ tituliert, hat nicht nur viele seiner Anhänger, sondern auch die Diplomaten der internationalen Gemeinschaft enttäuscht. Dass seine Partei, die Demokratische Liga Kosova, bei den ersten Parlamentswahlen zur stärksten Kraft wurde, ist fast ein Rätsel.

Denn Rugova weigerte sich geradezu, Wahlkampf zu machen. Er glaubte, er würde ohnehin die absolute Mehrheit der Stimmen gewinnen. Seine Partei errang aber lediglich 46 der 120 Sitze im Parlament. Und dieses sollte am Donnerstag nach der von der UN-Mission erarbeiteten vorläufigen Verfassung den Präsidenten wählen. Rugova erhielt nur 49 Stimmen und verfehlte die Zweidrittelmehrheit weit. Erst im dritten Wahlgang genügt eine einfache Mehrheit. Und selbst die ist ihm noch nicht sicher.

So muss der Mann, von dem sogar politische Weggefährten sagen, er sei der Welt entrückt, langsam die Realität zur Kenntnis nehmen. Als er im Frühjahr 1992 die Baracke des Schriftstellerverbandes des Kosovo zum Zentrum der Politik machte, als er nach den von der serbischen Führung unter Milošević verbotenen Untergrundwahlen mehr als 90 Prozent der albanischen Stimmen auf sich vereinigen konnte, war er noch selbstkritisch. Das sei keine Demokratie, erklärte er damals, er wäre lieber gegen andere Kandidaten angetreten, lediglich die serbische Repression habe die Albaner dazu gezwungen, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Rugova war damals nicht zuletzt wegen seiner Kritikfähigkeit, seines diplomatischen Geschicks und seines Humors auf dem Höhepunkt seiner Popularität.

Und er setzte seine Politik durch. Während in Bosnien geschossen wurde, organisierte er die aus allen Positionen des Staates und der Wirtschaft gedrängte kosovoalbanische Bevölkerung und verpflichtete sie auf den Weg des passiven Widerstands. Er setzte auf die internationale Gemeinschaft, auf das internationale Recht, auf die Vereinten Nationen. Im ausgehenden 20. Jahrhundert könne doch kein Apartheidsstaat in Europa geduldet werden, hoffte er.

Doch seine Wünsche gingen nicht in Erfüllung. Bei den Friedensverhandlungen in Dayton 1995 wurde das Kosovoproblem ausgespart. Der Abstieg Rugovas begann, die UÇK organisierte sich, bald darauf wurde im Kosovo geschossen. Und Rugova saß in seinem Haus und schwieg.

Als im Frühjahr 1998 serbische Truppen die Region Drenica zerstörten, fand der Untergrundpräsident keine Worte. Nicht einmal, als nach dem Beginn der Nato-Bombardierungen im März 1999 die Serben fast die gesamte albanische Bevölkerung in die Nachbarländer vertrieben. Als er im Mai 1999 mit Slobodan Milošević zusammentraf und ihm die Hand schüttelte, als er sich nach seiner Ausreise um eine Villa in Bonn und in Rom bemühte, statt in die Flüchtlingslager zu fahren, war der Tiefpunkt erreicht.

Nach dem Krieg kapselte er sich ab, gab kaum noch Interviews. Lediglich die Angst vieler Kosovoalbaner vor den Nachfolgeorganisationen der UÇK rettete ihn. Die Alternativen sind auch nicht mehrheitsfähig. So wird er wohl doch noch Präsident werden, obwohl ihm internationale Diplomaten nicht zutrauen, die komplexen Probleme des Landes lösen zu können.

ERICH RATHFELDER