: Europäische Gedanken im Gewächshaus
Belgiens Außenminister Louis Michel schlägt Ad-hoc-EU-Truppe für Afghanistan vor – Javier Solana hält dies für durchaus realistisch
BRÜSSEL taz ■ Gewächshäuser sind, so scheint es, dem gemeinsamen Nachdenken förderlich. Am Donnerstagabend hatten sich Vertreter der europäischen Grünen zu ihrem ersten EU-Gipfel im Botanischen Garten im Zentrum von Brüssel versammelt. Dort schlug Daniel Cohn-Bendit vor, doch einfach die deutsch-französische Brigade unter UN-Mandat nach Afghanistan zu schicken. Die funktioniere schließlich schon.
Am nächsten Tag spann der belgische Außenminister und noch amtierende EU-Ratsvorsitzende unter tropischen Pflanzen im Gewächshaus von Königsschloss Laeken die Idee weiter: Warum nicht eine Ad-hoc-EU-Truppe für Afghanistan bilden, an der sich alle Mitgliedsstaaten beteiligen, jeder nach seinen Kapazitätsmöglichkeiten?
Ob Louis Michel nur laut nachgedacht und mit seiner Ankündigung Fakten geschaffen hat, die seine Kollegen nun schlecht ignorieren können, ist unklar. Vor der Presse jedenfalls stellte Michel am frühen Nachmittag die Sache so dar, als hätten alle EU-Staaten, auch die vier neutralen Länder Schweden, Österreich, Irland und Finnland fest zugesagt, Soldaten für die multinationale Truppe bereit zu stellen.
Louis Michel ist für seine unorthodoxen Alleingänge berüchtigt. Für seinen Geschmack boten die lang herbeigesehnten sechs Monate als Mister Europa nicht die Gestaltungsmöglichkeiten, die er sich gewünscht hätte. Der elfte September überschattete alle Versuche, an kolonialen Glanz anzuknüpfen, die Musik spielte in Washington und nicht in Brüssel. Javier Solana, außenpolitischer Vertreter des Rates und Ex-Natogeneralsekretär, scheint Michels Pläne jedenfalls für realistisch zu halten. Auf Journalistenfragen beschrieb er genau, wie die Eingreiftruppe aufgebaut sein soll. Das Hauptquartier soll in Großbritannien liegen, der Führungsstab von Militärs anderer Länder unterstützt werden. Die Truppe soll Nato-Aufklärung und Planungseinrichtungen nutzen können.
Was die ständige EU-Krisentruppe und ihren Zugriff auf Nato-Ausrüstung angeht, so wird eine Einigung weiterhin von Griechenland blockiert. Die Türkei hatte verlangt, dass die Truppe nie gegenüber Nato-Mitgliedern zum Einsatz kommen darf und sie ein Mitspracherecht bei Einsätzen in ihrem Interessengebiet bekommt. Diese Zugeständnisse gehen Athen zu weit. Michel sagte aber, in die griechische Position sei Bewegung gekommen, man werde sich bis zum Ende des Gipfels am Samstag einigen. Auch in Sachen Naher Osten wagte sich der schwergewichtige Minister, der meist kein Blatt vor den Mund nimmt, weit vor. „Wir stellen fest, dass Arafat vom palästinensischen Volk demokratisch gewählt ist.“ Eine Schwächung Arafats werde dem Friedensprozess nicht helfen, sagte Michel in Richtung der israelischen Regierung, die den Kontakt zu Arafat abgebrochen hat. Seit Belgien erwogen hat, den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon wegen Verletzungen des Völkerrechts vor ein belgisches Gericht zu stellen, ist die Stimmung zwischen beiden Ländern gereizt. Die EU unter belgischer Präsidentschaft ist derzeit so ziemlich der letzte weltpolitische Mitspieler, von dem Israel einen Rat annehmen würde.
Allerdings hat sich gestern in Laeken auch der deutsche Außenminister, der als Verteidiger Israels im Kreis seiner EU-Kollegen gilt, ähnlich geäußert. „Es liegt in den Händen der Palästinenser, wer sie vertritt“, sagte Joschka Fischer. Es müsse alles getan werden, um weitere Terroranschläge und neue Gewalt zu verhindern. Die Angriffe auf Arafats Hauptquartier seien aber von den Teilnehmern des EU-Gipfels nicht ausdrücklich kritisiert worden.
Für den Abend hatten sich die Staatschefs vorgenommen, weiter an der „Erklärung von Laeken“ zu feilen, die Rahmenbedingungen für den Konvent abstecken wird, der die nächste EU-Reform vorbereitet. Auf die Frage, ob die Kandidatenländer im Konvent ein Stimmrecht haben sollten, antwortete Louis Michel, „natürlich nicht“, die Veranstaltung sei ja wohl keine „auberge espagnole“. Eine „spanische Kneipe“ ist nach belgischer Vorstellung ein Ort, wo jeder machen kann, was er will. Und genau so ein Ort wird der Konvent am Ende wohl doch werden, denn er beginnt seine Arbeit 2002 unter spanischer Präsidentschaft. Und Aznar ist kein Freund der Konventsidee. DANIELA WEINGÄRTNER
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