Ihre Leidenschaft heißt Politik

Mit dem Attac-Bus von Aachen in die belgische Hauptstadt: Warum zwei junge Frauen in Brüssel gegen Krieg und Globalisierung demonstrieren

aus Brüssel BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Es ist noch dunkel, als sich Marie Rosa auf dem Weg nach Brüssel macht. Die 25-jährige Französin gehört zu den Mibegündern von Attac in Aachen und es ist keine Frage, dass sie bei den Protesten anlässlich des EU-Gipfels dabei ist. Viertel vor fünf hat der Wecker geklingelt, viertel vor sechs steht sie, eingepackt in eine dicke rote Dauenenjacke am Sporthaus „Drucks“ im Zentrum von Aachen. Dort soll um 6 Uhr der Bus nach Brüssel abfahren. Organisiert wurde er von Attac und der „Sozialistischen Alternative Voran“ (SAV). Im Rucksack hat Marie eine zweite Jacke, denn eins ist sicher an diesem Tag: Es wird kalt.

Marie ist eine der Ersten, die am Sporthaus eintrifft. Sie ist etwas müde, aber gut gelaunt. Jedem hinzukommenden Demonstrationsteilnehmer verkauft sie für 18 Mark ein Busticket mit dem Aufdruck „Zur internationalen Demo gegen die Herrschaft der Banken und Konzerne“. Auf einer Liste werden die Namen derjenigen vermerkt, die abends wieder zurückfahren. Es sind vorwiegend junge Leute, die einen mit, die anderen ohne Erfahrungen in linken Aktionsgruppen. Unterm Arm tragen sie Schlafsäcke, Isomatten und Transparente „Gegen Krieg und Ausbeutung“ und „Bleiberecht für alle“.

Der Bus ist nicht bis auf den letzten Platz besetzt, doch mit etwa 50 Personen gut gefüllt. Unter ihnen sind sowohl Studenten als auch eine 57-jährige Frau, die vor einem Jahr „mehr oder weniger freiwillig“ aus dem Schuldienst ausgeschieden ist, und ein 71-jähriger Kommunist, der „seit 50 Jahren gegen den Kapitalismus kämpft“, wie er sagt. Marie zählt die Teilnehmer durch, sie beginnt auf Deutsch und endet auf Französisch. Sie ist die Tochter eines Portugiesen und einer Spanierin mit marokkanischen Wurzeln. Vor drei Jahren kam sie wegen eines Germanistikstudiums nach Deutschland und spricht mit dem für Franzosen typischen Akzent. Das Studium hat sie längst abgebrochen und gegen eine Arbeit als Verkäuferin in einem Uhrengeschäft eingetauscht. Der Job gefällt ihr nicht besonders, doch er gibt ihr die Möglichkeit, Geld zu verdienen und Zeit für ihre „Leidenschaft“ zu haben: die Politik.

Marie ist etwas genervt, weil ein Teilnehmer verschlafen hat und drei andere noch einen Parkplatz suchen. Als sich der Bus mit halbstündiger Verspätung in Bewegung setzt, werden Attac-Flugblätter verteilt. Sie tragen die Überschrift „Eine andere Welt ist möglich“. Tanja, eine dreißigjährige Frau mit kurzen Haaren vom Bundesvorstand der SAV greift zum Mikro: „Wir müssen an der Grenze mit Kontrollen rechnen.“ Sie spricht von Verzögerungstaktiken der Polizei und bittet, sich keinesfalls provozieren zu lassen und die Ausweise bereitzuhalten. Wichtig ist, „flott und entspannt“ nach Brüssel zu kommen. „Ich hoffe, den Herrschenden erklären zu können, dass wir mit ihrer Politik nicht einverstanden sind.“ Ihre Worte werden mit Applaus aufgenommen.

Schon wenige Minuten nach der Abfahrt wird der Bus gestoppt. Bundesgrenzschützer stehen am Straßenrand. „Die haben ja richtige Maschinengewehre“, sagt Marie erschrocken. Doch nach wenigen Minuten ist alles vorbei, die Fahrt geht weiter. Ohne Probleme erreicht der Bus Brüssel.

In der belgischen Hauptstadt warten kistenweise Croissants und heißer Kaffee auf die Ankommenden. Unter ihnen ist auch Andreas, der in Aachen Architektur studiert. Er saß allein im Bus und wirkt unsicher. „Ich bin kein Kommunist und auch kein Globalisierungsgegner“, sagt er fast entschuldigend. Doch weil er die Militäraktionen in Afghanistan für „unverantwortbar“ hält, ist er nach Brüssel gekommen. Er glaubt nicht, dass das die Regierungschefs von ihrer Tagespolitik abhält. Er will „Stellung beziehen“.

Kaum haben die Aachener ihr Gepäck abgestellt und einen heißen Kaffee getrunken, machen sich Marie und die anderen auf den Weg zum Petit Chateau, einer ehemaligen Kaserne, die jetzt ein Auffangzentrum für Flüchtlinge ist. Rund 20.000 Demonstrationsteilnehmer aus aller Welt sind schon da. Hunderte von Plakaten in verschiedenen Sprachen füllen die Straße: „Stoppt den Krieg“, „Offene Grenzen“, Gegen Kinderarbeit“, „Freiheit für Öcalan“. Bestimmend ist das Konterfei von Ché Guevara auf Unmengen von Transparenten und auf roten Plastikumhängen, die viele tragen. „Change the World“, heißt es überall. Kaum setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung, schreien Marie und Tanja „Resistance international, gegen Krieg und Kapital“. Fast alle Geschäfte sind zu, nur vereinzelt sind Menschen auf ihren Balkonen zu sehen. Weit und breit kein einziger Polizist. Nur ab und an kreist ein Hubschrauber in der Luft. Das nutzt der „schwarze Block“, die Autonomen, die ziemlich am Ende der Demo laufen, sofort aus. Sie werfen die Scheiben von mehreren Banken ein. Mit Steinen und Holzknüppeln. „Wir wollen den Mächtigen zeigen, dass sie nicht alles machen können“, sagt ein 24-jähriger Vermummter aus Süddeutschland. Er will seine „Wut rauslassen“. Die Begründung: „Man muss sich prostituieren und arbeiten gehen und darf sich nicht einfach mit einem Wagen auf ein Grundstück stellen.“ An den zerbrochenen Scheiben vorbei werden zwei riesige Plakate mit den Köpfen von Karl Marx und Ché Guevara geführt. Marie und Tanja, die eine Stunde zuvor „Shmash capitalism“ gerufen haben, haben die zerbrochenen Scheiben nicht gesehen. Sie sind den Steinewerfern weit voraus.