montagsmaler
Feiern, ausruhen, feiern, sich innerlich distanzieren
: Überall Zeichen

Wenn man am Samstag erst gegen Mittag aufsteht, den Kopf so dösig und ein bisschen matt, war man am Freitag wohl auf einer Feier. Also geht man spazieren, die kleine Runde mit Höhepunkt Landwehrkanal, und liest die Zeichen als Tageshoroskop: „LIEBE“ steht an dem eisernen Zaun vor dem Schiff „Iskele“, das früher das „Pik-As“ war. Ein Buchstabe für jede Metallstrebe. Sodass man das ganze Wort nur aus einem bestimmten Blickwinkel für einen Moment beim Vorbeigehen erkennt. „HULK“ steht an einer Wand in der Baerwaldstraße und sonst oft an an Papierkörben.

Hinter das Schild am Spielplatz mit „Hunde sind fernzuhalten“ klemmt ein Marihuanablatt so als Statement. In einem progressiven Plattenladen hängt noch ein Plakat mit einem Punkkonzert am 8. 12. im „Tommy-Haus“. Motto: „Nikolaus raus! Weihnachten verhindern!“ Oft verwechselt man Tommy Weisbecker mit Johnnie Weismüller.

Nachmittags wieder Tischtennis in der Etage der Kreuzberger Oktoberdruck-Druckerei. Eine Etage unter „Hardwax“. Wir spielen da seit vier Jahren jeden Samstagnachmittag, die Bundesligareportage im Hintergrund. Nun war’s das letzte Mal. Als ich hinging, war mir das gar nicht klar; ich wusste natürlich, dass der Kollektivbetrieb demnächst nach Friedrichshain umziehen würde, aber eben nicht, dass heute der letzte Tag sein sollte. Der Raum war im Aufbruch, Maler werkelten im Hintergrund; trist wirkten die Stellen an den Wänden, wo zwanzig Jahre lang die Kühlschränke gestanden hatten.

Zu Hause im Computer teilte die wöchentlich erscheinende „Cannabislegalnews.de“ mit, dass die neue Website der Cannabiskampagne von akzept e.V., www.DieCannabisKampagne.de, nun online sei und man über ein Online-Formular seine Unterstützung für die Minimalforderungen bekunden könne. Der Newsletter ist gut. Neulich war zum Beispiel Leo Kirchs Sohn Thomas wegen 136 g Hasch vor Gericht. Der 43-Jährige hat derzeit auch noch eine Scheidungsaffäre am Hals. Seine Nochehefrau Carolin (40) will 20 Millionen Mark.

Als ich einem Bekannten erzählte, dass ich auch die elektronische „Dope am Sonntag“ abonniert habe, sagte er, nun kannst du kein Dealer mehr werden. Die Polizei habe sicher schon alle registriert, die derlei Newsletters abonniert haben. In einer anderen Mail – „Thema: chinesisches Horoskop; das Jahr des eisernen Drachen wünscht dir Reichtum und Glück“ – ging es so psychotestmäßig um Zahlen. Personen und Lieder, die einem einfallen. „folge den Instruktionen. mach dich nicht drüber lustig, sonst funktioniert es nicht, und du wirst dir wünschen, es nicht gemacht zu haben [. . .] die Person, die es geschickt hat, erzählt, ihr Wunsch wurde wahr, 10 Minuten nachdem sie die E-Mail gelesen hatte, aber nicht drüber lustig machen!!!!“ Nicht „Paranoid“, sondern „Cum Feel The Noize“ heißt das Lied, das mir sagt, wie ich über das Leben denke. Harald ist mein „Glücksstern“. Natürlich leitete ich die Mail nicht weiter.

Eigentlich hatte es hier um die Weihnachtszeit gehen sollen, um den schönen Schnee auf den Dächern, die erste Kälte, um die Zunahme der Kletterweichnachtsmänner an den Balkonen überall, und dass in der Esso-Tankstelle in der Nacht dies weihnachtsmannhafte „He ain’t heavy . . .“ von den Hollies gelaufen war. Oder um Benjamin von Stuckrad-Barre, den die Kollegin zur taz-Weihnachtsfeier mitgebracht hatte.

Als Benjamin von Stuckrad-Barre die Weihnachtsfeier betrat, spielte der DJ irgendwas Krasses von „Geier Sturzflug“ oder der Rocky-Horror-Picture-Show, und man dachte wie immer, dass die innere Distanzierung ein integraler Bestandteil des taz-Universums ist. DETLEF KUHLBRODT