Zu viel Liebe ist tödlich

Einer der besten deutschen Filme der Sechziger, gedreht zwischen Sunset Strip und Hollywood Hills: Die Hackeschen Höfe zeigen Michael Pfleghars einzigen Kinofilm „Die Tote von Beverly Hills“ mit Heidelinde Weis in der Hauptrolle

In einer Zeitkapsel aus dem Jahr 1964 hätte ein Bild der jungen Heidelinde Weis eigentlich seinen Platz verdient gehabt. Als Zeugnis menschlicher Vollkommenheit. Keusche Bestimmtheit trifft auf enigmatische Laszivität, verwahrt in einem unbeherrschten Lolita-Körper, der die Sinne raubt. Eine Altmännerfantasie eigentlich, wäre da nicht diese Magie in ihrem Ausdruck und ihren sprunghaften und trotzdem fließenden Bewegungen. Wo kam sie her, wo ist sie hin, fragt man sich heute, wo die Erinnerung an diese rauschhafte Person nach „Traumschiff“- und „Schwarzwaldklinik“-Biederkeit längst verblasst ist?

Michael Pfleghar muss diesem Mädchen damals hoffnungslos verfallen gewesen sein, so wie er es in seinem ersten und einzigen Kinofilm „Die Tote von Beverly Hills“ aus dem Jahr 1964 eingefangen und überhöht hat. Sein Blick versucht immer wieder, sich des Mädchens Lu zu bemächtigen, sie aber bleibt absolut ungreifbar – und ist dabei von so schierer Präsenz, wie keine ätherische Lichtgestalt sie je erlangen könnte. Lu ist zwar die titelgebende Tote von Beverly Hills, ihre ungebändigte Lebensfreude wird den Zuschauer aber nicht mehr loslassen.

Die Schönheit dieses Mädchens aber ist so unwirklich, dass jeder Versuch, sie in den Besitz zu bekommen, als Farce enden muss. Diese Farce spiegelt sich schon allein in dem Ensemble der Männer wieder, die in „Die Tote von Hollywood“ den Lebensweg Lus kreuzen: der vor Eifersucht waidwunde Opernsänger, ein schöngeistiger Gralsritter ohne Unterleib und Rückgrat. Ein provinzieller Untersuchungsrichter, der sich ihrer unerfüllbaren Liebe vergewissert, in dem er Künstler wird und Lu zum gesichtslosen Modell seiner auf dem Kunstmarkt hoch gehandelten Bilder macht. Und natürlich ihr Ehemann, ein paläolithischer Archäologe, der sich Lus Liebe mit ihrer Untreue erkauft. Oder klingt das besser? Ein blutjunger Messdiener, dem sie einst im Klosterwäldchen die Unschuld raubte und den sie Jahre später als erfolgreichen Drehbuchautor für Fließbandwestern in Hollywood wieder trifft. Wenig überzeugend, das Männermaterial.

Zu einer Zeit, als seine französischen Kollegen bereits längst den zeitgenössischen Hollywood-Produktionen entsagt hatten, ging Michael Pfleghar also nach Amerika und drehte dort, zwischen Sunset Strip und Hollywood Hills, einen der besten deutschen Filme der 60er. Eine Farce eben. Er hat seine Crew an einem wirklich fremdartigen Ort ausgesetzt, und das macht er sich für seinen Film zu Nutze. Seine „Novelle Vague“-Verve wirkt reichlich deplatziert in der Welt des Glamours und der Stars: Der Westentaschen-Marlowe (Wolfgang Neuss spielt delirant wie aus einer anderen Welt) hat sein Büro in einem halbfertigen Rohbau, der Mordverdächtige (ganz groß: der junge Klausjürgen Wussow – mit Hut!) pirscht in Loden und mit deutschem Schäferhund durch die Hügel von Hollywood auf der Jagd nach Rebhühnern. Solchen Menschen ist alles zuzutrauen.

Wie lächerlich Hollywood auf Pfleghar gewirkt haben muss, zeigt sich in der Zusammenkunft der High Society auf einer Pool-Party des gefeierten Malers Steininger (Paraderolle für Horst Frank): Die Schönen und Reichen stehen in voller Abendgarderobe bis zu den Hüften im Wasser und trinken ihren Schampus aus Tassen. Aus der Vertrautheit solcher Szenerien generiert Pfleghar den ultimativen Blödsinn. Auch die Codes des klassischen Detektivfilms kann er so lange überdeterminieren, bis selbst die Suche nach dem Mörder zur Nebensache wird. Eigentlich ging es von Anfang an nur um echte, aufrichtige Liebe – nichts Neues also auch von hier.

Heute muss der Film wie ein heilsamer Kulturschock wirken. All die ausgelatschten Fernsehfressen wirken so frisch und enthusiastisch, trotz des ganzen Quatsches, den sie in „Die Tote von Beverly Hills“ permanent von sich geben müssen. Unter Pfleghars lockerer Adaption eines Theater des Absurden können sie alle Hemmungen sausen lassen. Und dieses Zwanglose erfüllt noch die unscheinbarsten Details mit neuem Leben. Die Umkehrung dieser Wirkung lautet im Film selbst dann: Zu viel Liebe kann tödlich sein.

ANDREAS BUSCHE

Die „Tote von Beverly Hills“ läuft in den Hackeschen Höfen 4, Rosenthaler Str. 39, Mitte