„Ausjebuht hamse dich“

Bei seiner 20. Titelverteidigung muss sich WBO-Weltmeister Dariusz Michalczewski nicht nur mit dem jamaikanischen Boxer Richard Hall herumärgern, sondern einmal mehr mit dem Rocchigiani-Clan

aus Berlin MATTI LIESKE

Box-Pressekonferenzen wirken häufig so, als seien sie von Monty Python’s Flying Circus konzipiert. Boxkämpfe im übrigen auch.

Nicht so der am Samstag abend zwischen Dariusz „Tiger“ Michalczewski und dem Jamaikaner Richard Hall – zumindest fast elf Runden lang. Da war es ein sauberer, technisch anspruchsvoller, spannender und hochklassiger WM-Fight mit ständig wechselndem Kampfgeschehen und dem ganzen Repertoire an Schlagvarianten, das der faustige Sport zu bieten hat. Aus den Fugen geriet die Angelegenheit, als Ringrichter Mark Nelson (USA) Mitte der 11. Runde auf die Idee kam, den Kampf zugunsten von Michalczewski abzubrechen, weil Halls rechtes Auge zugeschwollen war. Die Amerikaner fühlten sich verschaukelt, und das Publikum im Hotel Estrel, das den aufgrund alter Rocchigiani-Rivalität in Berlin nicht gerade populären WBO-Weltmeister zuvor durchaus angefeuert hatte, sah sich um eine dramatische Schlussphase geprellt. Der in Triumphatorpose herumstolzierende Michalczewski wurde jetzt inbrünstig ausgepfiffen, Richard Hall mit Ovationen verabschiedet. Kaum einer, der nicht die Meinung von Halls Coach Slim Robinson teilte: „Es war ein Weltmeisterschaftskampf, er hätte weitergehen müssen.“ Und die des Herausforderers selbst: „Der Ringrichter hat ihm den Kampf geschenkt.“

Ob es Hall trotz Sehschwäche geschafft hätte, die vorhersehbare Punktniederlage gegen einen bärenstarken Michalczewski abzuwenden, darf bezweifelt werden; deutlich wurde aber von Anfang an, dass sich die Universum-Box-Promotion von Klaus-Peter Kohl mit der Akzeptierung des Jamaikaners einem beträchtlichen Risiko ausgesetzt hatte. Dies jedoch aus gutem Grund. Die Karriere des 33-jährigen Michalczewski neigt sich langsam dem Ende zu, was ihm als Krönung fehlt, ist ein Fight gegen den Superstar des Halbschwergewichts, Roy Jones jr.

Der hat daran bisher wenig Interesse und pflegt den papiermäßig imposanten Rekord Michalczewskis, der in nunmehr 45 Kämpfen ungeschlagen ist, verächtlich vom Tisch zu wischen: „Alles Flaschen.“ Selbst seinen größten Sieg, den gegen Maske-Bezwinger Virgil Hill, errang der WBO-Champion gegen einen Kontrahenten, der in den USA so wenig angesehen war, dass er dort kaum Kämpfe bekam. Um Roy Jones zu beeindrucken, müssen also wohl oder übel renommiertere Gegner her, am besten welche, die der große Roy gut kennt. Zum Beispiel Richard Hall, der mit dem Champion ebenfalls bis Runde elf im Ring stand.

Der Herausforderer machte sich am Samstag sofort daran, Michalczewskis Schwächen in der Deckung auszunutzen, welche diesen schon häufig in manche Bredouille gebracht haben. Der Weltmeister ist kaum in der Lage, Schlägen auszuweichen. Was durch die Deckung kommt, trifft auch. Und das war eine ganze Menge. Schon nach drei Runden war Michalczewskis linke Gesichtshälfte von den Jabs und Haken des amerikanischen Rechtsauslegers stark gerötet, hinzu kamen jede Menge Körpertreffer. Heftig wurde es in Runde vier, als Hall nach Belieben traf, aber auch demonstrierte, warum Manager Kohl das Wagnis mit ihm eingegangen war: Der Mann hat trotz seines Beinamens „Destroyer“ keinen Punch. Zudem beging der 31-Jährige den Anfängerfehler, zu ungestüm nachzusetzen, fing sich einen schweren Konter und bekam nun selbst Prügel. Ein Muster, nach dem der gesamte Kampf bis zum Abbruch verlief. Hall traf häufiger, der physisch stärkere Michalczewski härter. Beide wankten, doch keiner fiel.

Die Kontroverse über das abrupte Ende setzte sich in der Pressekonferenz, der nicht nur Journalisten, sondern auch „Ehrengäste“ beiwohnten, nahtlos fort. „Das Publikum muss superzufrieden sein“, sagte Michalczewski, „so einen Kampf hat Berlin lange nicht gesehen.“ Der Widerspruch ließ nicht auf sich warten. „Ausjebuht hamse dich, haste det nich jemerkt“, ließ sich eine schrille Frauenstimme vernehmen, die sich auch durch Ordnungsgrufe vom Podium nicht zum Verstummen bringen ließ, sondern mit „Schiebung, Schiebung“-Kaskaden munter nachlegte. Ein weltmeisterliches „Halt doch das Maul“ ließ sofort einen weiteren Protagonisten auf den Plan treten. „Sag nicht ‚Halt’s Maul‘ zu meiner Frau“, sprach Ralf Rocchigiani, plusterte sich zu voller Größe auf und machte Anstalten, die alte Rocchigiani-Tradition der tätlichen Beilegung von Konflikten auch außerhalb des Ringgevierts fortzuführen, während die versammelten Michalczewski-Claquere mit deutsch-polnischen Verbalinjurien das Chaos vervollkommneten.

Als es schließlich gelungen war, das streitbare Ehepaar aus dem Saal zu komplimentieren, schlug die Stunde der Amerikaner. „Seid ihr bescheuert“, rief ein ungehaltener Michalczewski in den Raum, „habt ihr das nicht gesehen, oder was. Ab der 3. Runde war ich klar.“ Er verstehe gar nicht, dass der Ringrichter nicht früher abgebrochen habe. Als ihm dies übersetzt wurde, musste Richard Hall herzlichst lachen, während sein Trainer vehement einen Rückkampf forderte. Klaus-Peter Kohl entgegnete, man wolle zunächst einen Fight gegen Roy Jones, was beträchtliche Heiterkeit im Hall-Lager auslöste. „Roy wird hier nicht herkommen“, grinste einer. „Wir fahren hin“, entgegnete Kohl und steigerte das Amüsement ins Unermessliche. Der Gedanke, dass ein Dariusz Michalczewski allen Ernstes vorhaben könnte, in Amerika gegen Roy Jones jr. zu boxen, schien den Hall-Begleitern der beste Witz zu sein, den sie je gehört hatten.

Kein Zweifel: Auch nach seiner 20. Titelverteidigung nimmt man den Champion aus Hamburg jenseits des Atlantiks nicht ernst, und man darf davon ausgehen, dass die Kunde vom dubiosen Ausgang des Kampfes gegen Richard Hall sein Ansehen bei Roy Jones jr. nicht wesentlich verbessert hat. Das gilt auch für das eigene Land. „Ihr könnt froh sein, dass ihr mich habt“, rief Michalczewski angesichts der vergifteten Atmosphäre schließlich beleidigt aus. Die Antwort war Schweigen. Was vorwiegend daran lag, dass die Rocchigianis schon außer Hörweite waren.