Meister ohne Schale

Trotz der zweiten Saisonniederlage bei der Berliner Hertha beendet Bayer Leverkusen die Vorrunde als Klassenprimus. Sonderlich groß ist die Freude über den dafür verliehenen Titel aber nicht

aus Berlin FRANK KETTERER

Oliver Neuville zeigte nicht den Hauch von Bereitschaft, auch noch gute Miene zu verlorenem Spiel zu machen. Ein bisschen angesäuert wirkte der kleine Nationalspieler vielmehr, was damit zu tun haben könnte, dass der Nachmittag in der Bundeshauptstadt nicht nur ziemlich kalt, sondern auch keineswegs nach Plan verlaufen war für Neuville und seine Leverkusener Sportsfreunde. „Wir haben nicht gut gespielt“, knurrte der Mann mit Rückennummer 27, und so war es selbst mit dem Unentschieden, das Neuville als „richtiges Ergebnis“ empfunden hätte, nichts geworden, obwohl die Leverkusener doch zumindest in Halbzeit zwei wenigstens einigen Druck entwickelt hatten auf das Gehäuse von Hertha BSC. „Klare Chancen“, hatte Neuville als Folge dessen erkannt, ein weiterer Treffer nach dem 1:1 zur Pause, für das Herthas Andreas Neuendorf (19.) und Neuville selbst (37.) gesorgt hatten, waren aber nur noch den Berlinern vergönnt: Pal Dardai hatte den Ball nach abgelegtem Freistoß nach gut einer Stunde aus rund 25 Metern in die Maschen gewuchtet und damit die 1:2-Niederlage der Leverkusener, die zweite erst in dieser Saison, besiegelt.

Es dürfte in erster Linie diesem Tatbestand geschuldet sein, dass sich bei den Leverkusenern so gar keine Freude breit machen wollte über jenen Titel, der nach alter Fußball-Väter Sitte nach Ende einer Vorrunde vergeben wird. „Davon können wir uns doch nichts kaufen“, stellte der „bitter enttäuschte“ Bayer-Torhüter Hans-Jörg Butt zum Thema Herbstmeisterschaft fest; dass die Kür gen Jahresende eher von minderem Wert ist, unterstrich auch Kollege Neuville: „Wir sind noch Erster, aber wir haben bis jetzt noch keinen Titel geholt“, sagte er völlig korrekt. Zumal am Mittwoch in Wolfsburg noch eine weitere Partie ansteht. „Dann“, schlug Butt vor, „kann man eine erste Bilanz ziehen.“

Vielleicht war es da ganz gut, dass wenigstens Klaus Toppmöller, der Bayer-Trainer, der Chose ein bisschen Positives abgewinnen konnte, als er feststellte, dass Bayer „völlig verdient“ Herbstmeister geworden sei, schon Mitte der Woche hatte der Herbstmeistermacher seinen Spielern vom „erfolgreichsten Halbjahr in der Vereinsgeschichte“ vorgeschwärmt. Das haben sie mit 39 Punkten und Platz eins in der Liga sowie dem Erreichen der Champions-League-Zwischenrunde zweifelsohne hinter sich. Andererseits dürfte es kaum beruhigende Wirkung ausstrahlen, dass in der Liga trotz vereinshistorischer Großtat die Konkurrenz nach wie vor dicht im Nacken sitzt. „Es ist doch gut für die Zuschauer, dass es spannend bleibt“, sagte Toppmöller zwar, er selbst aber dürfte sich daran kaum berauschen können. Zumal bei Bayer, das zeigte sich am Samstag erneut, „die Akkus leer sind“ (Toppmöller) und der brasilianische Schönspielfaktor keinesfalls fest installiert ist, was zur Folge hat, dass dann auch die Leverkusener eher zu irdischem Fußball tendieren, dem Teams wie Hertha durchaus gewachsen sind. Hinzu kommt, dass der körperliche Verschleiß nach den 29 Pflichtspielen der ersten Saisonhälfte langsam Tribut fordert: Gegen Hertha fehlte Bernd Schneider verletzt, in Wolfsburg wird es Jens Nowotny sein, der am Samstag mit einer Adduktorenzerrung vorzeitig vom Platz humpelte. „Ich bin froh, dass bald Pause ist“, kommentierte das Trainer Toppmöller, schon weil die Qualität seines Kaders eine Rotation à la Bayern keineswegs hergibt und auch der Verletztenfaktor im Kampf um die Meisterschaft am Ende eine Rolle spielen könnte.

Wie schwer es ist, immer wieder auf bestes Stammpersonal verzichten zu müssen, davon kann Hertha-Trainer Jürgen Röber ein Lied singen, gegen Leverkusen fehlten die Angestellten Goor, Beinlich, Konstantinidis sowie Alves, außerdem war es die insgesamt achte Liga-Partie, die die Berliner ohne ihren Spielmacher Sebastian Deisler bestreiten mussten. Da verwundert es ein bisschen, dass die Mannschaft just seit diesem Zeitpunkt national nicht mehr verloren, in dieser Serie 20 von 24 möglichen Punkten ergattert und dabei Bayern München sowie nun Bayer Leverkusen geschlagen hat.

Viel mehr aber muss erstaunen, dass sich in der Hauptstadt trotz alledem eine Trainerdiskussion entzündet hat, die an Absurdität kaum noch zu übertreffen ist. Leicht zusammengefasst geht es darum, dass Röber, der Hertha vor sechs Jahren in Liga zwei übernommen, auf Anhieb in die Bundesliga, später in die Champions League und zuletzt zwei Mal in Folge in den Uefa-Cup geführt hat, dass dieser Röber also den Cluboberen nicht mehr fein und vor allem weltmännisch genug erscheint, weshalb sie seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag höchstens um ein Jahr verlängern möchten, was Röber genau eines zu wenig ist. So schießen die Gerüchte und Spekulationen in der Hauptstadt derzeit ins Kraut, längst haben sich die Hertha-Reporter darauf geeinigt, dass Röbers Abgang ausgemachte Sache und die Frage nur noch sei, wann er geht – und wer sein Nachfolger wird? An klangvollen Namen mangelt es nicht, am häufigsten genannt werden die Holländer Louis van Gaal und Ruud Gullit sowie der Belgier Eric Gerets.

Röber winkt nur noch genervt ab, wenn es um die unsägliche „T-Frage“ (Tagesspiegel) geht, meist mit dem Hinweis, man werde die entscheidenden Gespräche noch vor Weihnachten führen. Am Samstag, als der Trainer seinen Spielern noch auf dem Platz zum Sieg über Leverkusen gratulierte, hatte Röber Tränen in den Augen. Es spricht vieles dafür, dass es die ersten Tränen des Abschieds waren.