Illegal ist nicht scheißegal

Arbeitsminister Riester will illegale Arbeitskräfte im Haushalt legalisieren – aber nicht alle. Sondern nur Pflegekräfte aus Osteuropa. Die Einwanderungsdebatte bleibt zu eng

Warum soll eine Familie „nachweisen“, dass sie Hilfe braucht? Warum reicht nicht, dass sie anständig zahlt?

Die Diskussion um das Einwanderungsgesetz konzentriert sich auf zwei Punkte: auf das Nachzugsalter von Migrantenkindern und auf den Flüchtlingsschutz. So richtig und wichtig es ist, dafür zu streiten, dass etwa geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt wird und dass Halbwüchsige bei ihren Eltern aufwachsen dürfen – dies alles hat nichts damit zu tun, anzuerkennen, dass die deutsche Gesellschaft längst zu einer Einwanderungsgesellschaft geworden ist.

Die Arbeitsmigration – der wichtigste Grund für Wanderungsbewegungen weltweit – wird nur in der Green-Card-Debatte zum Thema gemacht. Und dabei ist dann ausschließlich von den so genannten Höchstqualifizierten die Rede, den Computer- und Informatikspezialisten, die die deutsche Wirtschaft angeblich so dringend benötigt. Diese Debatte ignoriert eine unabweisbare Tatsache: Unser Wirtschafts- und Sozialsystem braucht offensichtlich auch noch eine Einwanderung ganz anderer Art.

Längst leben in Deutschland zahllose Einwanderinnen ohne gültige Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigungen davon, dass sie „haushaltsnahe Dienstleistungen“ erbringen. Das heißt, sie putzen, hüten Kinder oder pflegen alte Menschen. Da sie sich eigentlich gar nicht in Deutschland aufhalten dürfen, leben sie „illegal“: Ihre Arbeitsverträge sind persönliche Absprachen (deren Einhaltung sie nirgends einklagen können); sie wohnen zur Untermiete und bezahlen bar; und der städtische Raum ist für sie durchzogen von „no go areas“ – also von Orten, wo das Risiko besonders hoch ist, von der Polizei kontrolliert zu werden. Einmal in Deutschland, können diese Migrantinnen es nicht nach Belieben wieder verlassen, denn die erneute Einreise birgt zusätzliche Gefahren. Also haben viele von ihnen seit Jahren ihre Familien nicht mehr gesehen.

Über die Gesamtzahl der Frauen kann nur spekuliert werden, die unter diesen Bedingungen leben. Schätzungen reichen von einigen Zehn- bis zu einigen Hunderttausend. Sie kommen von überall her: aus Osteuropa, Afrika, Lateinamerika, Asien. Von keiner anderen sozialen Gruppe in unserem Lande lässt sich ähnlich berechtigt behaupten, dass sie nur und ausschließlich von ihrer Hände Arbeit lebt: Gäbe es nicht eine lebhafte Nachfrage nach der Arbeit dieser Frauen, dann wären sie nicht hier.

Saskia Sassen hat in ihrer Untersuchung der „Global Cities“ darauf hingewiesen, dass Globalisierung keineswegs bedeutet, dass Orte nun bedeutungslos geworden seien. Die Global Players können zwar ihre Software in Bangalore schreiben und ihre Buchhaltung auf den Philippinen erledigen lassen. Aber die Reinigung für ihre in Süditalien zusammengestichelten Armani-Anzüge muss in der Nähe sein, in Übersee nützt sie ihnen gar nichts. Auch die Pizzas für die Nachtschichten der Höchstqualifizierten lassen sich ja vielleicht noch per Internet bestellen – gebacken werden müssen sie um die Ecke, wenn sie genießbar sein sollen. Ebenso wenig können Fensterputz, Gartenarbeit, Kinderbetreuung oder die Pflege von Alten oder Kranken in Billiglohnländer ausgelagert werden. Solche persönlichen Dienstleistungen werden zu ganz bestimmten Zeiten an ganz bestimmten Orten nachgefragt, und die „Globalisierung der Märkte“ bedeutet hier nichts anderes, als dass Arbeitskräfte aus der ganzen Welt um diese Einkommensmöglichkeiten konkurrieren, indem sie ihre Mobilität auf das Äußerste strapazieren – und zu (illegalen) Migranten werden.

Eingewanderte Arbeitskräfte ohne Dokumente verfügen gegenüber den einheimischen häufig über eine Reihe von „Wettbewerbsvorteilen“, die von ihren Arbeitgebern gern ausgenutzt werden: Sie besitzen neben formalen Qualifikationen (die im Zuwanderungsland oft nicht anerkannt werden) auch informelle Vorzüge wie Findigkeit, Frustrationstoleranz, Initiative oder Anpassungsfähigkeit. Ihr ungeschützter Aufenthaltsstatus macht sie besonders ausbeutbar. Da ihnen kaum Erwerbsalternativen zu Gebote stehen, sind sie eher als einheimische Arbeitskräfte bereit, sich auf Hungerlöhne oder extrem strapaziöse Arbeitsbedingungen einzulassen.

Alle diese Eigenschaften treffen auch auf die meisten Frauen zu, die als „Illegale“ in Deutschland Kinder hüten, Wohnungen und Treppenhäuser putzen oder alte Menschen pflegen. Der Preis ist hoch, den sie dafür zahlen müssen, dass sie ihre Familien in der Heimat materiell unterstützen können. Diese Frauen leben in ständiger Unsicherheit und ohne die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – weder in der Heimat noch in dem Land, in dem sie zum Teil schon seit vielen Jahren wohnen und arbeiten.

Dass ihre Dienstleistung dringend gebraucht wird, steht außer Frage. Viele Alleinerziehende und eineinhalbfach oder doppelt verdienende Haushalte mit Kindern können die wachsenden (Flexibilitäs-)Ansprüche der Arbeitswelt mit den Anforderungen des Familienlebens nur dann in Übereinstimmung bringen, wenn sie auf bezahlte Unterstützung im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung zurückgreifen können.

Nun hat Arbeitsminister Walter Riester einen ersten Schritt getan, um die Existenz dieser Arbeitsverhältnisse überhaupt zur Kenntnis zu nehmen: mit seinem Vorschlag, ausländischen Arbeitskräften in der häuslichen Kranken- und Altenpflege die Erlangung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen zu erleichtern.

Riesters Vorstoß trifft allerdings kaum die Spitze des Eisberges. Zum einen beschränkt er die Gruppe der hilfsbedürftigen Haushalte auf solche, die alte oder kranke Angehörige pflegen; ein großer Teil der schwarzen Arbeitsverhältnisse wird damit überhaupt nicht erfasst – wie etwa die Betreuung von Kindern. Zum anderen will Riester seine Regelung nur auf Frauen aus den osteuropäischen Beitrittsländern beschränkt sehen. Ihnen werden dann auch künftig die heimlichen Einwanderinnen aus Ostasien, aus Lateinamerika oder aus Nordafrika Konkurrenz machen.

Globalisierung bedeutet nicht, dass Dienstleistungen vor Ort unwichtig sind – etwa Kinderbetreuung

Wenn sich die Debatte um das Einwanderungsgesetz so fortsetzt, wie sie bisher geführt worden ist, dann wird sich an der Situation all dieser „illegalen“ Hausarbeiterinnen überhaupt nichts ändern. Hier täte ein bisschen Vertrauen in den Markt gut. Warum soll eine Familie „nachweisen“, dass sie Hilfe braucht? Reicht es nicht erst einmal aus, wenn sie bereit ist, diese anständig zu bezahlen?

Auf welche Weise sich die prekären Arbeitsverhältnisse in privaten Haushalten auf die Dauer legalisieren und absichern lassen, das ist eine komplexe Frage. Aber sinnvoll diskutieren lässt sie sich nur, wenn alle Betroffenen beteiligt werden – und dazu gehören vor allem auch die arbeitenden Frauen selbst. Damit sie sich jedoch überhaupt zu Worte melden können, ist ein legales Aufenthaltsrecht in Deutschland die unabdingbare Voraussetzung.

ELEONORE VON OERTZEN