Die Menschheit wartet

■ Rathaus und Roland auf dem Weg nach ganz oben

Der Kurier ist unterwegs, heute soll ein prächtiger Bildband auf den Tisch des Sekretariats der Kultusminister-Konferenz in Bonn gelegt werden. Titel: „Das Rathaus und der Roland auf dem Marktplatz in Bremen. Welterbeantrag“. Kultursenator Kuno Böse hat den Kurier losgeschickt, gestern schlug auch seine Stunde als gelernter Historiker: „Das Bremer Rathaus ist das einzige spätmittelalterliche Rathaus, das unzerstört überdauert hat.“

Damit erfüllt es die erste Bedingung der Welterbe-Konvention von 1972: Authentizität. Wiederaufgebaute Preziosen (wie etwa der Frankfurter Römer) hätten von vorneherein keine Chance. Doch die UNESCO verlangt noch weit mehr: Nicht weniger als „außergewöhnlichen universellen Wert“, und: der Verlust des Objekts muss „unersetzlich für die Menschheit“ sein.

Höher kann die Latte nicht liegen. Bremen kann – neben Schönheit – immerhin die andauernde Nutzung der historischen Gebäude in's Feld führen. „Sie werden von den selben machtpolitischen Gruppen bespielt wie in den früheren Jahrhunderten“, erläutert Hans-Joachim Manske, beim Kultursenator verantwortlich für die Anmeldung. Kirche, Kaufmannschaft und Ratsherren pendeln seit dem späten Mittelalter am Marktplatz ihre Machtbalance aus – Bremen ist die älteste europäische Stadtrepublik, die sich ihre Selbstständigkeit bewahrt hat. Also: „doppelte Authentizität“ zu Bremer Gunsten.

Eine weitere Hoffnung: Auf der Welterbeliste dominieren Schlösser, Kirchen und Klöster. Bisher gibt es noch kein singuläres Welterbe-Rathaus. Die berühmten toskanischen municipi sind alle im Rahmen kompletter Altstadt-Ensembles „unescofiziert“ worden. Klugerweise hat die Bremer Bewerbung von solch raumgreifenden Ansprüchen Abstand genommen. Im Sommer war noch heiß über die Einbeziehung auch aller anderen Marktplatzanrainer – Dom, Bürgerschaft, Schütting – diskutiert worden, jetzt ist von „Kern- und Rahmenbereich“ die Rede – eine Konstruktion, die die UNESCO freilich gar nicht vorsieht.

Die Handelskammer, nun ohne Aussicht auf Ehrung ihres historischen Sitzes, zeigt sich als fairer Verlierer. Unverdrossen sammelt sie Spenden zur Finanzierung der Anmeldung: 200.000 Mark sind schon zusammen, 150.000 braucht's noch. Zur Not springt die Kulturverwaltung ein, wie Böse gestern zusicherte.

Schließlich geht's um „lohnende Investitionen“: Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann hofft auf Touristen, die ihre Reiseziele nach der Welterbeliste bestimmen. In Weimar sei der Touristenzuwachs seit der UNESCO-Adelung deutlich spürbar.

Wichtig ist, dass Bremen seine Anmeldung vor Jahresende auf den Weg über Bonn nach Paris gebracht hat. Sonst würden bereits die verschärften UNESCO-Bedingungen herrschen, mit denen die Weltorganisation versucht, der inflationären Verbreitung ihres Gütesiegels entgegenzuwirken: In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der deutschen Einträge von acht auf 25 – von weltweit 582.

Jetzt muss mindestens ein Jahr gewartet werden, bis die UNESCO-Vollversammlung wieder ihre Daumen bewegt – vielleicht auch bis Dezember 2003. Denn außer zwei „rückgestauten“ Anträgen aus Deutschland (Wismar und Stralsund) werden im kommenden Jahr noch circa 30 weitere der Bearbeitung oder Vertagung harren.

Derweil bekommt Bremen Besuch: Eine Kommission des „International Council on Monuments and Sites“ (ICOMOS) wird das Rathaus begutachten. Die Milka-Plane sei für die wichtige Visite sogar förderlich, mutmaßt Motschmann. Das Gebäude sei dann zwar nicht aus der Ferne, dafür aber – vom Gerüst aus – ganz nah zu sehen. Kurzsichtige Prüfer wären insofern von Vorteil. Henning Bleyl