Treptow sagt: Danke, Dr. Rath

Der Vitamin-Guru Matthias Rath ist ein Globalisierungskritiker eigener Art. Auf seinem Kreuzzug gegen das „Pharma-Kartell“ machte er in der Treptower Arena Station. Es war ein anschaulicher Abend für die verschwörungstheoretische Forschung

von JAN ROSENKRANZ

Was haben die Anschläge vom 11. September mit Vitamin C zu tun? Auch auf diese Frage gab es Antwort am Montagabend in der Treptower Arena. Der Vitamin-Guru Matthias Rath – der jüngst durch Plakete wie „Stoppt das Pharma-Kartell“, „Millionen sagen: Danke, Dr. Rath“, aufgefallen ist – hatte zum Vortrag geladen: „Natürlich gesund statt Pharma-krank“.

5.000 graue Klappstühle stehen bereit. Weniger als die Hälfte ist besetzt – von Hörern meist jenseits der fünfzig. Schon fürs Kommen sind sie reich beschenkt worden – mit einem Baumwollbeutel. „Make Health Not War“ hat Dr. Rath darauf drucken lassen. Fleißige Mitarbeiter haben die Taschen mit Videos, Büchern und Broschüren gefüllt. Aus den Boxen dringt Musik, Tracy Chapman erinnert: „We’re talkin’ ’bout a revolution.“ Und um nichts weniger geht es Dr. Rath heute Abend. Denn dank seiner „Zellular Medizin“, die im Grunde darauf beruht, dem Körper möglichst viel hochdosierte Vitamine zuzuführen, ließen sich Volkskrankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Bluthochdruck, ja sogar Krebs besiegen. Das seien nämlich keine Krankheiten, sondern Vitamin-Mangel-Erscheinungen.

Doch das Gute hat es schwer. Es droht nämlich das „weltweite Vitamin-Therapie-Verbot“. Der Doktor organisiert deshalb die „größte Volksabstimmung aller Zeiten“. An vier Computern links und rechts der Bar zeigen seriös gekleidete Hostessen, wie man im Internet Protestbriefe an alle Regierungen sowie Parlamentarier „der Staaten der Erde“ und überhaupt alle „Entscheidungsträger weltweit“ versendet. Mit einem Klick sorgt man so für einen beachtlichen E-Mail-Verkehr, was vielleicht auch die Zahl von „jetzt schon 250 Millionen Stimmen“ erklärt und T-Online dazu veranlasst hat, die Aktion durch Nichtbeförderung zu boykottieren.

Da kämpft David gegen Goliath – Dr. Rath gegen Medien-Boykott, gegen korrupte Politiker, und vor allem gegen das Pharma-Kartell, das um seine Milliarden-Märkte bangt. Denn der Onkel Doktor stellt die Vitamin-Präparate selber her, um sie, nun ja, zu verkaufen. Dr. Rath, 46, graue Haare, klagt und verspricht, er flüstert und schreit, geht hin und her auf der breiten Bühne mit den Videowänden. Er fragt „Verstehen Sie?“ oder skandiert „Skandal“, wenn seine Jünger applaudieren sollen.

Richtig beweisen kann der Doktor seine Heilsbotschaft nicht. Dafür verabreicht er allen kostenlos das Buch „Gesundheit ist machbar!“ mit 282 Seiten voll mit glücklicher Patientenpost. Anders als Rath behauptet, gibt es die gesicherten Studien nicht, die seine Theorie beweisen. Aber es existieren Studien, die besagen, „dass Dosen über 500 mg (Vitamin C) pro Tag die Blutspiegel nur noch unbedeutend erhöhen, aber toxische Nebenwirkungen möglich sind“, so der Magdeburger Medizinprofessor Peter Meyer im Deutschen Ärzteblatt. Dr. Rath empfiehlt 900 mg pro Tag. Das Bundesinstitut für Arzneimittel hat einige der Rathschen Präparate deshalb als „zulassungspflichtig“ deklariert. Das Landgericht Berlin hat 1998 den Vertrieb verboten, weil die Zulassung fehlt. Da hat der Doktor seine Firma, die er lieber „unsere Organisation“ nennt, nach Holland verlegt und den Vertrieb über das Internet organisiert.

Alles Übel dieser Welt scheint sich zur Pharma-Industrie vereint zu haben, um mit allen Mitteln zu kämpfen. Gegen Dr. Rath, gegen Vitamine, gegen sechs Milliarden Menschen. „Das muss man sich mal vorstellen“, ruft der Doktor und hebt klagend die Arme wie ein TV-Prediger. Erst kam Galileo Galilei, dann Martin Luther und jetzt Dr. Rath. Seine „Zellular Medizin“ sei ein ebenso großer Durchbruch. Auch wenn er den Vergleich mit Jesus scheut, Bescheidenheit ist seine Sache nicht.

„Sie denken, ich mache hier auf Show?“, fragt er. Eine alte Frau im roten Strick schüttelt energisch den Kopf, und der Doktor wispert betroffen: „Es geht hier um Millionen Menschenleben.“ Er schlenkert die Arme, macht sich locker und bereit für das Finale. „Wann haben sie eigentlich zuletzt von Lipobay gehört?“, fragt Rath in den raunenden Saal und beginnt, eine atemberaubende Argumentationskette zu fädeln – von Pharma-Krise zur Vertrauenskrise zur Staatskrise zu Notstandsgesetzen. Am Ende steht der Satz: „Und plötzlich gab es den 11. September.“

„Wenn der Pharma-Markt droht zusammenzubrechen, weil das Wissen um Vitamine weltweit öffentlich wäre: Ich frage Sie, was würden Sie als Pharma-Konzern tun?“, fragt der Doktor vielsagend. Vielleicht Terroristen ausbilden? Bayer statt Bin Laden? Vor solchen Sätzen weiß sich Dr. Rath zu hüten. Mutig verweist er nur auf angebliche historische Parallelen: Die Nazis haben den Reichstagsbrand für ihr „Ermächtigungsgesetz“ genutzt und in dessen Windschatten Parteien verboten. Bitte festhalten! Würde jetzt die Vitamin-Therapie verboten, warnt Rath, könnte man dank Anti-Terror-Gesetz auch gegen den „Naturheil-Terror“ kämpfen, denn „in deren Augen sind wir Terroristen“.

„Zweifel?“, fragt der Doktor scheinheilig. Ebenso gut hätte er jetzt alle anwesenden Päderasten zum Outing auffordern können. Die junge Frau mit Mütze, die gleich zu Beginn ketzerisch gerufen hatte: „Völlig neue Erkenntnis! Obst und Gemüse sind gesund!“ – längst ist sie diskret von Ordnern stillgestellt. Niemand hebt die Hand. Wer’s nicht glaubt, rät Dr. Rath am Schluss, der könne das ja nachprüfen. Schließlich gebe es Quellen, die alles belegen und auf seiner Homepage zu finden sind. Dort kann man lesen, protestieren und bestellen. Praktisch. „Empört Sie das nicht?“ Allerdings.