Gott als Kollege

„Im Reich der Schnitte“ ist Kriki souveräner Herrscher über die Kunst der Collage

Kriki wäre der einzige Mensch, der dem Weihnachtsfest komische Kunst abgewinnen könnte

Friseure und Collagisten haben zweierlei gemeinsam. Ihr wichtigstes Arbeitsgerät ist die Schere und ihr Können spricht derart eindrucksvoll für sich, dass sie es sich leisten können, mit Tautologien für sich zu werben: „Was Friseure können, können nur Friseure“ beziehungsweise „Was Collagisten können, können nur Collagisten“. Nun gut, der zweite Teil der Behauptung ist gelogen, aber wenn man lange unterwegs war „Im Reich der Schnitte“ – so heißt ein 144 Seiten dickes Buch, das in der Edition Nautilus erschienen ist –, dann gesteht man zumindest einem Vertreter aus der Berufsgruppe der Collagisten zu, den Klassiker der Reklamegeschichte jederzeit und überall zu verwenden. Kriki heißt der Mann; Alter, Herkunft und richtiger Name sind ausnahmsweise mal unwichtig.

Wenn ich Kriki richtig verstanden habe, war der erste Collagist der liebe Gott persönlich. Der legte zwar eine punk-artige Attitüde an den Tag, als er mit einer Geflügelschere an Adams Rippe herumschnippelte, aber egal, Gott als Kollege, das ist schon mal was Besonderes, da können all die Cartoonisten, Karikaturisten und anderen Witzbolde, deren Schaffen dem Krikis entfernt verwandt ist, schon mal nicht gegen anstinken.

Aber was kann Kriki denn nun, was andere nicht können? Here we go: die Redensart vom „guten Buch“ in die Tonne der Kulturgeschichte treten; die Zivilisationskritik um essenzielle Aspekte bereichern, etwa Menschentypen lächerlich machen, die sich als Rechenkünstler bezeichnen oder gern so bezeichnen lassen; auf den dritten Blick tragische Kalauer mit dem monströsen Wort „Unterhaltspflicht“ produzieren; der antifaschistischen Bewegung neue Angriffsobjekte liefern (ohne den Witz vorwegzunehmen: Menschen mit Gipsbeinen müssen sich vorsehen!); auf subtile Art heile Familien zum Transgender-Diskurs animieren („Wir spielten Eisenbahn und Vater Zimmermädchen“); schlüpfrige Witze ihrer Schlüpfrigkeit berauben; und nicht zuletzt den Leser mit fatalistischen Bildern zum Lachen bringen und gleichzeitig darüber nachdenken lassen, wie der endgültige Blumentopfwitz aussehen könnte, dem sich Kriki in „Im Reich der Schnitte“ übrigens schon souverän angenähert hat. Zugegeben, das eine oder andere können auch andere, aber niemand sonst kann all dies.

Die Arbeiten in diesem Buch lassen sich – wir müssen jetzt mal die Rätselhaftigkeit reduzieren und unserer servicejournalistischen Pflicht Genüge tun, also förmlich werden – grob in drei Kategorien einteilen: Collagen mit handschriftlichen Bildunterzeilen (es dürfen auch Reime sein), Collagen mit handschriftlichen Sprechblasen sowie Collagen, die kombiniert sind mit Vier- bis Fünfsatzprosa, die wiederum einen unprätentiös philosophischen Unterton haben dürfen. Als Rohmaterial dienen Kriki Zeichnungen und Grafiken aus Büchern, die auf dem Flohmarkt sonst keiner kaufen wollte. Ab und zu ist auch mal eine recht neu wirkende Skizze darunter. Wenn sie denn so seltsam ist, wie die von einer Frau, die Gymnastik macht, während sich ihre Beine unter einer Kommode befinden. Wer zumindest erahnen möchte, was Kriki antreibt, das zu tun, was er tun muss, sollte mal bei den über 70-Jährigen seines Vertrauens in den Schränken und Schubladen wühlen: Alles Gezeichnete, das sich dort findet – sei es auf Postkarten, in Lehrbüchern oder Werbematerialien – würde ins „Reich der Schnitte“ passen.

Mein Lieblingsdialog von Kriki ist „Zieh! – Was? – Leine!“, was ich unbedingt erwähnen muss, obwohl ich glaube, dass man das nicht versteht, ohne das Bild zu kennen. Und mein Lieblingssatz von Kriki lautet „Hier stimmt doch etwas, nicht?“, was man dagegen wohl auch versteht, ohne die dazugehörige Collage – sie stammt aus einem älteren Buch, erschienen in einem Verlag, den es nicht mehr gibt – vor Augen zu haben. Der Spruch bringt auf den Punkt, was viele seiner Kunststücke auslösen. Manchmal fragt man sich das übrigens auch, wenn man sich eine Collage schon mehrmals angeguckt hat.

Ich muss in diesen Tagen oft an Kriki denken, weil er der einzige Mensch wäre, dem es noch gelänge, dem Weihnachtsfest komische Kunst abzugewinnen. Zeichnungen, auf denen Tannenbäume zu sehen sind, darüber hinaus glückliche Menschen, die im Kerzenschein Geschenke auspacken, drängen sich geradezu dazu auf, krikisiert zu werden. Und vielleicht würde Kriki sogar eine noch schwierigere bewältigen: etwas bleibend Witziges schaffen über die Kollegen vom Friseurhandwerk. RENÉ MARTENS

Kriki: „Im Reich der Schnitte“. Edition Tiamat, Hamburg 2001, 144 Seiten, 13,80 Euro (27 Mark)