Synkopische „Stille Nacht“

■ Vierte Runde „Vollkontakt“: De Portables und Gaston zählen Takte und lassen Klängen Luft zum Atmen – im Knust

Gerecht war die Popwelt noch nie. Sie ist es schon deshalb nicht, weil heute pfui ist, was gestern hui war. Dazu reicht das Rümpfen einer autoritären Nase im richtigen Moment. So geschehen bei jener Kategorie Band, die sich vor ein paar Jahren nicht mit 4/4-Rhythmen genügte und den Rock hinter sich zu lassen glaubte, aber dennoch Wert auf Melodien legte. Und wenn nun hier stünde, in welcher Kiste solche Bands seit ein paar Jahren stecken, würde so manche Leserin gelangweilt seufzen und einige Leser empört umblättern (oder umgekehrt). Und das hätten die beiden hier verhandelten Bands nicht verdient.

Da gibt es zunächst De Portables, Belgier aus dem flämische Brügge, weshalb man mit einer französischen Aussprache des Bandnamens vielleicht die Lacher, aber nicht die Wahrheit auf seiner Seite hat. Die wiederum hat bei De Portables viele Facetten. Dazu gehören zahllose Veröffentlichungen in Belgiens ein wenig inzestuös anmutendem Heimwerker-Untergrund sowie ständige Besetzungswechsel. Der letzte Stand heißt: Quartett, die jüngste CD Rosegarden. Darauf zählen die vier Herren ungerade Takte an, lassen Gitarren bei Zeiten fauchen, nur um sie im Anschluss wieder schnurren zu machen, und frönen ansonsten jener Form des Understatements, die Komplexes ganz simpel erscheinen lässt. Will sagen: Die Songs der De Portables gehen schnell ins Ohr, und mit ein wenig Konzentration lassen sie sich auch mitwippen. Unter der Oberfläche aus klaren Laut-leise-Kontrasten und zurückgenommenen Gesangslinien liegen Arrangements verborgen, über die sich eine Menge Gedanken gemacht wurde.

Am deutlichsten wird das in Schlagzeugmustern, die zum Synkopischen neigen und mit Überspringungen und abrupten Richtungswechseln hantieren; oder in Synthesizerflächen, die das Räumliche der Musik, in der Gitarre und Bass gleichberechtigt nebeneinander agieren, weiter betonen. Das mag alles trocken klingen, ist es aber gar nicht. Denn eigentlich sind De Portables Schelme, die auf ihren Platten ausgerechnet in einem ihrer schönsten Instrumentalstücke unvermittelt und todernst ein „Stille Nacht“- Gitarrenthema einflechten. Bei Auftritten äußert sich ihr Humor, so heißt es, überdies in Wallace & Gromit-Vertonungen. Etwas, das sie von den Übervätern ihres Genres, Slint, unterscheidet.

Auch Gaston haben, dem Namen nach, etwas für Comics übrig. Das Trio kommt aus Berlin und Hamburg und ermitteln die Taktraten seiner Stücke ebenfalls gerne mit dem Rechenschieber. Wer geradeaus spielt, verliert, Komplexität ist Trumpf. Dabei sitzt jeder Ton, alles hat seinen Platz. Das ist Präzision, und man mag gar nicht glauben, dass die Herren soeben erst der reformierten Oberstufe entwachsen sind. Vielleicht ist das schon Prog-Rock ohne Matte, vielleicht auch das eigenwillige Treiben des Blues- und Folkgitarristen John Fahey in einen Band-Zusammenhang übersetzt. Auf so schwer zu berechnende Elemente wie den Gesang verzichten Gaston. Das Feld gehört alleine Gitarre, Bass und Schlagzeug – und den stillen Momenten zwischen diesen dreien: Bei aller Furcht einflößenden Vituosität haben Gaston nicht vergessen, dass auch Klänge Luft zum Atmen brauchen.

Präsentiert wird dieses vierte Konzert der „Vollkontakt“-Reihe von der langlebigen FSK-Sendung Sunday Service. Deren Motor, die Geschwister Ziegelmüller, sorgen dann auch für das musikalische Rahmenprogramm des Abends.

Gregor Kessler

Sonntag, 23.12., 21 Uhr, Knust