Die Begegnung mit der Langsamkeit

Alles deutete daraufhin, dass dem ehemaligen Jesuitenpfarrer Hanns Heim das Schicksal einer Karteileiche blüht. Doch dann griff die Justiz zu – 20 Jahre, nachdem der Friedensaktivist eine Gefängnismauer besprüht hatte. Er weigerte sich standhaft, Schadensersatz zu leisten. Das hieß Knast

von PLUTONIA PLARRE

Der Gefangene Hanns Heim war gerade in seiner Zelle beim Mittagessen, als die Nachricht kam: „Nach dem Essen packen Sie ein. Sie werden entlassen.“ Das ließ sich der 62-jährige Taxifahrer natürlich nicht zweimal sagen. Aber erstaunt war er schon. Schließlich war er von der Justiz seit annähernd 20 Jahren verfolgt worden, weil er ein Graffito an eine Knastmauer gesprüht hatte. Die Erzwingungshaft, in der er sich seit fünf Wochen befand, war nur eine weitere Fortsetzung der unseligen Veranstaltung. Und nun plötzlich das: “Entlassung auf Anordnung des Senators für Justiz.“

Mit dem Bescheid, der Hanns Heim am vergangenen Dienstag die Freiheit bescherte, ist eine Stück zu Ende gegangen, das auch von Franz Kafka hätte stammen können. Im Mittelpunkt steht ein gebürtiger Bayer und ehemaliger Jesuitenpriester aus Kreuzberg, der sich der Justiz widersetzt hat, wie kein Zweiter. Ein Freund, der mit Heim seit vielen Jahren in der Kreuzberger Taxigenossenschaft e.G. zusammenarbeitet, bringt es mit den Worten auf den Punkt: „In einer Zeit, wo sich alle taktisch verbiegen, hat Hanns Heim gezeigt, dass man auch mit einer aufrechten Haltung überleben kann.“

Heim selbst beschrieb seine Motive am Montag bei einem Gespräch mit der taz im Knast so: „Ich will das Widerstandsbewusstsein in der Gesellschaft stärken.“ Als er das sagte, wusste er noch nicht, dass er am nächsten Tag freikommen würde. „Irgendwann“, so Heims Hoffnung, „muss mal jemand einsehen, dass man die Justizmaschine anhalten kann.“

Es begann vor 18 Jahren mit der Unterzeichnung des Nato-Doppelbeschlusses. Damals war Heim, ein Baum von einem Mann, noch bei den Jesuiten. Der friedensbewegte Pater hatte sich schon an vielen Aktionen gegen die Raketenstationierung in Mutlangen und in Hasselbach beteiligt. Der Nato-Doppelbeschluss war für ihn eine Art Kriegserklärung. „Das ist Vernichtung total, ein Staat der sowas tut, ist kriminell.“ In der Nacht vom 27. zum 28. November 1983 griff Heim zur Spraydose und sprühte in Plötzensee an den damals noch in Bau befindlichen Frauenknast die Parole: „Hier baut die Bundesrepublik an unserer Zukunft“. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, dachte aber nicht daran, diese zu bezahlen. Es folgt eine mehrwöchige Ersatzfreiheitstrafe, die er bis zum letzten Tag absaß. Danach war erst mal Ruhe.

Ende der 80er-Jahre regte sich die Justiz wieder und klagte von ihm 500 Mark Schadensersatz für die Reinigung der „beschmutzen“ Gefängnismauer ein. Heim antwortete, er denke gar nicht daran, zu zahlen. Schließlich habe er keine Schaden angerichtet. Wenn, dann der Staat. Statt das Graffito zu entfernen, hätte dieser den öffentlichen Widerspruch „aus Respekt“ vor dem Volk dulden müssen. Eine Antwort auf seinen Brief bekam Heim nie.

Wieder vergingen Jahre. Dann kam der Gerichtsvollzieher. In der bescheidenen Kreuzberger Wohnung von Heim war aber nichts Wertvolles zu beschlagnahmen. Mittlerweile war der Armenpriester bei den Jesuiten ausgetreten, weil er mit den verkrusteten Strukturen des Ordens nicht klar kam.

Wieder dauerte es Jahre, bis ihm die Aufforderung ins Haus flatterte, einen Offenbarungseid zu leisten. Heim sagte nein. Dann kam die Androhung, ihn für ein halbes Jahr in Erzwingungshaft zu nehmen, wenn er die Unterschrift weiter verweigere. 99,9 Prozent aller Schuldner unterschreiben den Offenbarungseid spätestens dann, wenn Haftbefehl erlassen wird. Nicht so Heim. Die Gründe dafür tat er auch in einem Brief an den Richter kund, der den Hafbefehl erlassen hatte.

Am 14. November 2001,Heim saß gerade beim Frühstück, wurde er von der Polizei abgeholt und im Gefängnis Lehrter Straße in Erzwingungshaft gesteckt. Das Haftende wurde auf den 13. Mai 2002 datiert. Die Kosten für das Verfahren waren mittlerweile von 500 auf 7.000 Mark angewachsen. Mit jedem Gefängnistag, der mit 200 Mark zu Buche schlägt, wurde die Summe größer. „Am Ende wären es wohl 36.000 Mark geworden“, hat Heim ausgerechnet.

Hanns Heim hätte die Haftzeit vermutlich abgesessen, ohne mit der Wimper zu zucken. So wäre es immer weiter gegangen, wenn die Justiz zu Guterletzt nicht doch eingelenkt hätte. Freunde und Bekannte aus Kreuzberger Altautonomen Kreisen, mit denen sich Heim sehr verbunden fühlt, informierten die Presse. Nachdem er aus der Zeitung Kenntnis von dem Fall bekommen hatte, ordnete der zuständige Abteilungsleiter für Zivilrecht bei der Senatsverwaltung für Justiz die sofortige Freilassung von Heim an. Justizsenantor Wolfgang Wieland (Grüne) nickte die Entscheidung ab. Es sei davon auszugehen, dass Heim nie eine Unterschrift für einen Offenbarungseid leisten werde, begründete Wieland die Maßnahme. Man werde Heim auch keinen Gerichtsvollzieher mehr schicken und ihn auch nicht noch einmal wegen der Sache in Haft stecken. Dies mache bei dem Mann ganz offensichtlich keinen Sinn: „Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, einem Michael Kohlhaas hinterher zu laufen.“ Auch der Steuerzahler erwarte, dass nicht noch mehr Kosten entstünden. Der Fall könne aber nicht als Präzendenzfall für den Umgang mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen angesehen werden, betonte Wieland. In der Regel der Fälle sei nicht der Staat, oder – wie im konkreten Fall – die Justiz der Gläubiger, sondern Privatleute.

Heim ist froh, dass er draußen ist. Er fragt sich nur, warum die Maschine Justiz so lange gebraucht hat, wo er doch so viele Briefe geschrieben hat. „Das ist typische Beamtenmentalität“, meint er. Justizsenator Wieland dagegen vertritt das Motto: Ende gut alles gut. Die Maschine habe sich schließlich als „intelligent und flexibel“ erwiesen.