Die Słubfurter und die Frankicer

Ein Pendelbus, der in der Vorweihnachtszeit die deutsch-polnische Grenze überwindet? Nicht mit denen, für die die Grenze ein gutes Geschäft ist!

aus Frankfurt und Słubice UWE RADA

Wer in Frankfurt an der Oder aus dem Zug steigt, findet kaum Hinweise darauf, sich in einer Grenzstadt zu aufzuhalten. Kaum ein Wegweiser auf polnisch, nicht mal polnische Zeitungen. Auch draußen, auf dem Bahnhofsvorplatz, führen die Straßenschilder zwar zur Europauniversität, nicht aber zur Grenze. Die östlich der Oder gelegene Nachbarstadt Słubice sucht man im öffentlichen Raum von Frankfurt vergeblich.

„Zur Stadtbrücke? Kein Problem, acht Mark, wenn es keinen Stau gibt. Vorweihnachtszeit, Sie wissen schon.“ Der Taxifahrer weiß Bescheid. Wer aus dem Bahnhof kommt, will entweder zur Uni oder zum Einkaufen nach Polen. So ist das in Grenzgebieten und das genießen die Taxifahrer. Wäre da diesen Dezember nur nicht dieser Weihnachtsbus. „Słubfurt heißt der“, sagt der Taxifahrer in verächtlichem Ton. Man merkt, dass ihm der Name schwer über die Lippen geht. „Sollte ursprünglich über die Grenze. Haben die polnischen Kollegen aber verhindert. Die haben gedroht, dem Bus die Reifen abzustechen. Mindestens.“ Der Mann zuckt mit den Schultern, was wohl heißen soll, dass er den Kollegen die Drohung nicht verübelt.

Frankfurt, Stadtbrücke. Elf Millionen Grenzübertritte im Jahr registriert hier der Bundesgrenzschutz, mit 1.800 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Stadt. 30.000 Grenzgänger sind das am Tag, statistisch gesehen. Doch auf der Stadtbrücke treffen sich nicht alle Frankfurter und Słubicer. Es sind die polnischen Studenten, die in der Frankfurter Europauniversität Viadrina studieren, und in Słubice im Wohnheim leben, die die Statistik nach oben treiben. Oder die deutschen Einkaufstouristen, die sich auf dem Grenzbasar Zigaretten holen, Krimsekt oder Wodka. Oder die Polen auf dem Weg in die Frankfurter Einkaufscenter, wo sie sich Hifi-Geräte oder Markenkosmetik besorgen. Wenn es ums Kaufen geht, ist die Stadtregion längst zusammengewachsen.

Der Bus kommt pünktlich. Geschmückt mit Weihnachtssternen, aufgesprühten Schneeflocken, bunten Graffiti und dem Logo des Einkaufszentrums HEP. Ursprünglich sollte der Bus von den Einkaufscentern im Westen von Frankfurt über den Bahnhof zur Stadtbrücke fahren, dort auf einer Sonderspur über die Grenze und in Słubice über das Collegium Polonicum zum Intermarché in die Ulica Kościuszki. Doch anders als auf dem Sonderfahrplan angegeben, hält das Fahrzeug nicht an der Stadtbrücke, sondern 100 Meter davor und kehrt dann wieder um. „Für die Stadtbrücke haben wir von der Frankfurter Stadtverwaltung keine Genehmigung bekommen“, sagt Sören Bollmann. Er hatte mit seinen deutschen und polnischen Freunden aus dem Verein „Europastadt Słubfurt“ die Idee für den Bus. Blickt man auf die Zufahrt zur Stadtbrücke, weiß man, warum dem Bus auch auf deutscher Seite eine Haltestelle auf der Stadtbrücke versagt blieb. Wie am Bahnhof stehen auch hier die Taxifahrer, und sie stehen nicht lange. Zumindest nicht in der Vorweihnachtszeit. Deshalb haben sie nichts übrig für einen grenzüberschreitender Pendelbus als verbindendes Element einer deutsch-polnischen Weihnachtsfeier. Als Alternative zum Auto oder zur Fußgängerschlange sollte der Bus die Veranstaltungen und Events auf beiden Seiten der Grenze billig und schnell ereichbar machen. Doch dann kam der Protest der Taxifahrer. Zuerst auf polnischer, später auch auf deutscher Seite. Aus Słubfurt wurden wieder Słubice und Frankfurt.

„Proszę bardzo.“ Danuta Kieliszek öffnet die Beifahrertür ihres Taxis. „Zum Basar?“ fragt die resolute Mitfünfzigerin mit ihren knallbunten Pantalons. „Macht fünf Mark.“ Nach ihrem Protest gegen die ursprüngliche Route des Busses gefragt, redet sich die Taxifahrerin in Rage. „Hören Sie, das ist hier unsere Arbeit, damit verdienen wir das Geld für unsere Familien. Das ist hier alles privat, verstehen Sie? Das ist Kapitalismus.“

300 Taxifahrer gibt es in Słubice mit seinen 17.000 Einwohnern. Im 70.000 Einwohner zählenden Frankfurt dagegen arbeiten nur 75 Taxifahrer. „Es gab Zeiten, da haben die Taxifahrer an die 1.000 Mark am Tag verdient“, sagt die Journalistin Beata Bielecka von der Gazeta Lubuska. Die Taxifahrer träumen immer noch von diesen Zeiten. Anderen Zeiten als denen eines geeinten Europa. „Słubfurt?“, fragt Fahrerin Danuta Kieliszek und runzelt die Stirn. „Alles Unsinn. Das hier ist die eine Seite der Grenze, drüben ist die andere. Jeder arbeitet auf seiner Seite. Wir würden ja auch nicht auf die Idee kommen, in Frankfurt Taxi zu fahren.“ Und der Beitritt Polens in die EU? „Solange die Grenze besteht, werden wir verdienen. Danach gibt es auch den Basar nicht mehr.“

Słubice. Schwer zu sagen, wo es anfängt und wo es aufhört. Jahrzehntelang am Rande gelegen, wurde die alte Dammvorstadt von Frankfurt 1989 plötzlich Grenzstadt und begann zu boomen. Doch Boom alleine macht noch keine Entwicklung. Zwar wird die Straße hinter dem Grenzübergang mit ihren Zigarettengeschäften und Wechselstuben zur Fußgängerzone umgestaltet. Doch das war’s dann. Mehr als ein paar Wohnblocks, den Intermarché, einige Nachtclubs und einer neuen Tankstelle hat Słubice nicht zu bieten.

Warum auch, findet man das eigentliche Słubice doch einige Kilometer oderaufwärts: als Grenzbasar. Er ist noch immer, trotz des Umsatzrückgangs der vergangenen Jahre, eine Art Parallelstadt. Und er ist, neben der Taxibranche, größter Arbeitgeber von Słubice. Entsprechend groß ist die Lobby beider Berufsgruppen. Ohne den Basar hätten die Taxifahrer keine Arbeit, ohne die Taxifahrer würden die deutschen Schnäppchenjäger nur mit Mühe zum Basar kommen. 500 Unterschriften und ein paar Drohungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Nein, lautete die Entscheidung des Słubicer Bürgermeisters. Damit war der Pendelbus gestoppt. Auch das ist Kapitalismus.

„Es gibt hier eben nicht nur Słubfurter“, sagt der Aktionskünstler und Słubfurt-Gründer Michael Kurzwelly, der monatelang vergeblich mit dem Berliner Innen- und dem Warschauer Transportministerium verhandelte. „Es gibt auch Frankicer.“ Zu den Slubfurtern gehören die, die Europa für eine Chance halten. Aber auch die, für die Völkerverständigung Umsatz bedeutet. So wie Bernd Liermann, der Chef des Einkaufszentrums „HEP“ im Frankfurter Plattenbaustadtteil Neu-Beresinchen. Oder wie Piotr Bilinski, der Inhaber des Intermarché in Słubice. Sowohl Liermann als auch Bilinski gehören zu den Sponsoren des Weihnachtsbusses. Die Frankicer dagegen sind in der Mehrheit. Kurzwelly kann es ihnen nicht verdenken. „Vielleicht“, sagt er, „ist es unser Job, immer wieder an die Diffferenz von Utopie und Wirklichkeit zu erinnern.“

„Europastadt Słubfurt“ – für die einen sind Sören und Agnieszka Bollmann-Zdziabek, Michael Kurzwelly und die anderen deutschen und polnischen Aktivisten des Vereins ständige Mahner in einer Zwillingsstadt, die gegenüber Görlitz und Zgorzelec, aber auch gegenüber Guben und Gubin viel aufzuholen hat. Für andere sind sie dagegen Spinner. Träumer von einem Europa, das hier zwar vielerorts zum Alltag gehört, an das aber viele noch immer nicht glauben. Erst recht nicht, wenn Europa als Vision oder Utopie propagiert wird. In einer „Wirklichkeitsinstallation“ des Vereins Słubfurt für das Jahr 2006 heißt es: „Das öffentliche Leben ist zweisprachig. In der Schule lernen die Kinder von der ersten Klasse an die Sprache des Nachbarlandes. Bürgermeister und Professorinnen, Bankdirektoren und Filialleiterinnen, Kneipiers und Verkäuferinnen haben längst Intensivkurse hinter sich und plaudern locker in der Fremdsprache. An ihren grammatischen Fehlern stört sich kaum einer.“

Das ist der Anspruch, Sören Bollmann weiß es. Die Realität findet man auf dem Basar. Oder unter den deutschen und polnischen Taxifahrern. Doch wie die Utopie immer auf der Wirklichkeit basiert, so trägt die Wirklichkeit utopische Momente in sich.

Zum Beispiel auf der Stadtbrücke. Wer die Passkontrollen hinter sich gebracht hat, findet mitten im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland und der Rzeczpospolita Polska je einen Adventskalender aus Papier. Keinen offiziellen, sondern einen von Hand gebastelten. In den Öffnungen sind Logos all der Geschäfte und Restaurants zu sehen, die sich mit dem Verein Słubfurt zusammengetan haben und damit werben, dass die Kunden beiderseits der Oder zweisprachig einkaufen und in beiden Währungen bezahlen können. Zumindest die Brücke zwischen Frankfurt und Słubice haben die Słubfurter in diesem Dezember erobert.

Dass der Bundesgrenzschutz die Słubfurt-Werbung am Grenzübergang genehmigt hat, hat Michael Kurzwelly nicht überrascht. „Die Beamten sind sehr aufgeschlossen, die meisten lernen Polnisch, haben oft sogar Freunde in Słubice gefunden.“ Die eigentlichen Grenzschützer als die wahren Grenzgänger, auch das ist Słubfurt.

Dennoch ist die Wirklichkeit noch weit vom Anspruch der Europafreunde entfernt. Am Grenzübergang ist die Schlange nach Polen inzwischen auf 100 Meter angwachsen. Nachdem sie fast eine Stunde auf ihre Abfertigung gewartet haben, marschieren die Frankfurter geradewegs auf den Taxistand zu. Den Weihnachtskalender von Słubfurt haben sie gar nicht erst bemerkt.