Zweifel über Zweifel

Was 1981 in Philadelphia wirklich geschah, ist noch immer unklar

Philadelphia, Pennsylvania, 1981. Das Jahr, in dem der neu gewählte Präsident Ronald Reagan in Washington die konservative Revolution ausruft. Das Klima für Afroamerikaner wird härter.

1978 hatte Philadelphias Polizei die Mitglieder der afroamerikanischen politisch-spirituellen Sekte „Move“ aus einem besetzten Haus vertrieben. Ein Polizist kam ums Leben, das Haus wurde am nächsten Tag abgerissen. Neun „Move“-Mitglieder wurden angeklagt und zu 30 bis 100 Jahren Haft verurteilt.

Mumia Abu-Jamal stand „Move“ nahe, außerdem gehörte er der Black Panther Party an und berichtete für einen örtlichen Radiosender über die Schwierigkeiten der afroamerikanischen Community mit der Polizei. Nachts fuhr er Taxi. Das FBI überwachte ihn.

Am 9. Dezember 1981, kurz vor vier Uhr früh, hält der Polizist Daniel Faulkner ein Auto an. Der Fahrer ist Abu-Jamals Bruder William Cook. Was danach geschieht, ist bis heute nicht geklärt: Abu-Jamal fährt im Taxi vorbei, sieht Faulkner und Cook miteinander ringen. Er hält an, steigt aus. Minuten später, so berichten Polizisten, liegt Faulkner tot auf der Straße. Abu-Jamal sitzt in der Nähe, verwundet durch eine Kugel aus Faulkners Pistole. Abu Jamals eigene Waffe liegt wenige Meter entfernt.

Abu-Jamal wurde wegen Mordes angeklagt. Sein Richter, Albert Sabo, war einschlägig bekannt: In 14 Jahren verurteilte er 31 Angeklagte zum Tode. Er hielt damit laut amnesty international den US-Rekord.

Im Prozess wollte Abu-Jamal sich selbst verteidigen, wurde von Richter Sabo jedoch über weite Teile von der Verhandlung ausgeschlossen. Sabo ordnete trotz Abu-Jamals Protest einen Pflichtverteidiger an. Ihm wurden die Geldmittel verweigert, um Ermittler oder Schusswaffenexperten bezahlen zu können. Schuldig gesprochen wurde Abu-Jamal aufgrund eines angeblichen Geständnisses, das er im Krankenhaus gemacht haben soll, aufgrund der Aussage von drei Zeugen, die ihn angeblich auf Faulkner schießen sahen – und aufgrund der Tatsache, dass er seine Schusswaffe mit sich führte.

In einem Report weist amnesty auf die Fragwürdigkeit dieser Schuldbeweise hin. Keiner der Ärzte, die Abu-Jamal versorgten, hörte seinen angeblichen Ausruf: „Ich hab’ auf den Motherfucker geschossen, und ich hoffe, dass er stirbt.“ Auch ein Polizist, der bei Abu-Jamal wachte, vernahm keine solche Äußerung. Das „Geständnis“ wurde von Kollegen des Polizisten erst zwei Monate später zu Protokoll gegeben.

Eine Zeugin, die gesehen haben will, dass Abu-Jamal zwei Schüsse auf Faulkner abgab, verstrickte sich im Prozess in Widersprüche und musste ihre Aussagen zum Teil zurücknehmen. Eine zweite Zeugin, die für die Verteidigung aussagen sollte, wurde von der Polizei unter Druck gesetzt. Auch ein dritter Zeuge, ein Taxifahrer ohne gültigen Führerschein, wurde möglicherweise durch Versprechungen der Polizei beeinflusst.

Viele weitere Zeugen konnten nicht befragt werden, obwohl sie angaben, ein weiterer Mann sei vom Tatort weggelaufen. Der wohl wichtigste Zeuge, Abu-Jamals Bruder William, erschien nie vor Gericht. Nie wurde ermittelt, ob die für Faulkner tödlichen Kugeln überhaupt aus Abu-Jamals Waffe stammten. Was folgte, waren jahrelange Versuche, Verfahrensfehler zu korrigieren. Abu-Jamal setzte parallel zu den Bemühungen seiner wechselnden Anwälte auf eine Solidaritätskampagne.

Zwanzig Jahre nach der Tat hatte ein Richter den Mut, aus all diesen Fragwürdigkeiten die Konsequenz zu ziehen, eine möglicherweise nicht zu korrigierende Strafe wie die Hinrichtung zu verhindern. Die Unschuld Abu-Jamals ist damit nicht bewiesen. Aber die Chance, den Tatverlauf doch endlich unvoreingenommen zu bewerten, besteht jetzt wieder. STEFAN SCHAAF