Peng, alles bunt

■ Das Sesamstraße-Musical „Wenn ich groß bin“ nervte total

In Sachen Sesamstraße bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Gut, durch versehentliches Reinzappen habe ich erfahren, dass mittlerweile Anti-Komiker Dirk Bach die deutschen Fernsehkinder beglückt. Aber hat schon mal jemand was von Sina, Rosita, Mariechen oder Roxy gehört? Sind diese Puppen neuere US-amerikanische Versuche, die bisherigen männlichen Charaktere wie Ernie, Bert, Krümel, Grobi und Oskar zu entmachten?

In „Wenn ich groß bin“, dem Sesamstraßen-Musical der „Family Entertainment Factory GmbH“, geht es um die Qualen und Möglichkeiten der postmodernen Wahlfreiheit. Präsentiert wird die Variante des amerikanischen Traums: Du kannst alles werden, wenn du nur an dich glaubst – also mach doch was du willst, solange du damit anderen nicht zu nahe trittst. Und damit die kleinen Mädchen im Publikum auch begreifen, dass sie gleichermaßen das Recht haben, ihre Arbeitskraft dem kapitalistischen System zur Verfügung zu stellen, gibt es einen Song darüber, Tenor: „Wir Frauen“ werden Astronautin, Lokomotivführerin oder Bergsteigerin – eben das, was wir wollen. Nur die Karriere als Fußballstar bleibt ihnen versperrt.

Die Berufswahl ist der rote Faden, mit dem die reichlich lose zusammenhängenden Episoden (z.B. über das korrekte Verhalten im Straßenverkehr oder den korrekten Umgang mit der Natur („Sei gut zur Erde und zum Wasser“) notdürftig verknüpft werden. Beim Finale sollen dann, nach Vorstellung von Regisseuse Mariechen, alle in den Klamotten ihres jeweiligen Wunschberufes erscheinen. Zwei haben damit ein Problem: Elmo, weil er alles auf einmal werden will und Samson, weil er gar keine Idee hat, was er werden soll.

Während Elmo von allen Seiten zu hören bekommt, dass er sich gefälligst zu entscheiden habe, schafft Samson es nicht, das für ihn prekäre Thema mit einer anderen Figur zu diskutieren. So steht er am Ende traurig da, weil ohne Berufswunsch. Aber keine Angst, er wird vom Kollektiv aufgefangen: Du hast dich immer so nett um uns gekümmert, hast immer ein offenes Ohr gehabt, wir finden dich total dufte, auch wenn du nur zum Hausmann (oder, mein Vorschlag: zum Psychotherapeuten) taugst. So sind dann, als der Vorhang fällt und statt Feuerwerk Luftschlangen in den Raum geballert werden, alle happy.

Eine aufdringliche, laute, knallbunte Angelegenheit ist dieses Sesamstraße-Musical, die US-amerikanische Vorlage wird schlicht kopiert – bis hin zum Drive-In mit Cadillacs und Fritten am Autofenster. Die Macher trauen ihrem Publikum – nämlich durch die Bank multimediageschädigten Zappelkindern – nicht zu, fünf Sekunden ohne überdrehte Action zuzuhören. Ergebnis dieser Fehleinschätzung ist ein overkill an Sinnesreizen, der bei den Kleinen genau das Gegenteil bewirkte: Unaufmerksamkeit, Verwirrtheit und eine Geräuschkulisse wie im Freibad. Dazu gab es jede Menge Eltern, die ihren rascheligen Zöglingen frontal ins Gesicht blitzten, um die einmalige Szene festzuhalten. Tim Ingold

Das „Sesamstraße-Musical“ ist in Bremen am 22. 12. um 14 und 17 Uhr sowie am 23. 12. um 11, 14 und 17 Uhr im Hansesaal des Bremer Congress Centrums zu sehen.