Die Trainer der Nation

Das Weltbild des Helden passt genau zwischen zwei Tore: „Leben bis Männer“ von Thomas Brussig im Deutschen Theater verwandelt Kabarett in müden Seelenton, kickt ins Unbestimmte und endet in einem matten Unentschieden

Armer kleiner Grenzsoldat. Er spielt, wie es ihm sein Trainer beigebracht hat

So ein Fußballfeld kann ganz schön weit sein. Was da alles draufpassen kann! Nicht nur ein paar Spieler und ein Ball, sondern sogar die halbe Geschichte der DDR und fast ein ganzes Trainerschicksal. Und das, obwohl das Leben auf dem Platz über einfache Regeln und klare Grenzen verfügt. Ballnetz, Kühltasche und den Kabinenschlüssel, mehr braucht der Mann von heute nicht. Daraus baut er seine kleine Welt. Was eine durchschnittliche Frau wohl nie so ganz verstehen wird.

Jörg Gudzuhn klimpert als Trainer mit dem Schlüssel in der Hosentasche. Er weiß Bescheid. Alles wirklich Wichtige hat er auf dem Fußballplatz gelernt, alles andere will er gar nicht wissen. „Wenn Fußball gespielt wird“, so die schlussendliche Weisheit eines langen und schmutzigen Trainerdaseins, „kommt das andere Leben komplett zum Erliegen.“ In der Betriebssportgruppe „Tatkraft Börde“ hatte er Ausbildung des Nachwuchses voll im Griff: Kinder, Knaben, Schüler, Junioren bis Männer. Er selbst hat den Erwachsenenstatus wohl nie erreicht und fängt einfach immer wieder von vorne an. Sein Weltbild passt genau zwischen zwei Tore, und nun hat er ganze anderthalb Stunden Zeit, uns das zu erklären. Die Sache nimmt den Verlauf eines mittelmäßigen Fußballspiels.

Zuerst ist alles möglich. Gudzuhn geht gleich auf Angriff („Zugucken ja, aber nicht einmischen!“ ruft er den Frauen im Publikum zu), positioniert sich als leidenschaftlicher Platzbrüller („Ich brülle nicht, ich denke nur laut“) und bestimmt klar die erste Halbzeit. Dann holt ihn die Geschichte ein. Seine spielerische Emphase wird von Skrupeln, Erinnerungen und Versagensängsten geschwächt. Er beginnt zu trudeln und kickt ziellos ins Unbestimmte. Das DDR- Fußball-Trauma („notorische WM-Qualifikations-Versager!“) lenkt ihn ganz vom Ball ab und dann kommen auch noch private Niederlagen und Demütigungen wie die Scheidung von seiner Frau dazu. Dann: Wende und Arbeitslosigkeit und Ausländerfeindlichkeit, das volle Programm. Und im Mauerschützenprozess wird ausgerechnet sein – inzwischen erwachsener – Mannschaftskapitän angeklagt! Heiko! Armer kleiner Grenzsoldat. Er gehorcht und spielt. So wie es ihm sein Trainer beigebracht hat.

Der Autor Thomas Brussig nutzt das System Fußball als Metapher für eine autoritäre Gesellschaft und greift zu kurz. Was als provozierendes Pamphlet beginnt, verwischt sich in der feinanalytischen Vergangenheitsbewältigung. Gudzuhn müht sich, die marktschreierische Rede, entliehen aus dem kabarettistischen Revier, in einen müden Seelenton zu wandeln, aber Autor Brussig lässt ihn mit klischierten Redewendungen im Stich. „1989 stellte sich die Sinnfrage.“ Ja, klar. „Wir spielen nicht nur Fußball, wir trotzen den Zeiten.“ Was auch sonst. „Sind wir denn heute die Neger der Nation?“ Na ja, vielleicht. „Fußball ist alles,“ sagt der Trainer und dann geht er ab.

Das Spiel endet in einem matten Unentschieden. Vielleicht hat aber auch nur ein echter Gegner gefehlt. Brussig lässt seinen Trainer gegen die Frauen schießen, gegen den Westen, aber auch gegen den Osten, am Ende sogar gegen den Fußball selbst. Dabei weiß er doch: „Ein Spieler braucht klare Anweisungen“. Nicht nur auf dem Sportplatz. Aber die Rezensentin ist selbst bloß eine Frau. Und was verstehen Frauen schon vom Fußball?

REGINE BRUCKMANN

Nächste Aufführungen: Sonntag, 23. 12. und Dienstag, 1. 1. 02, 20 Uhr im Deutschen Theater, Schumannstraße 13 a, Mitte