Niedersachsen macht den Bremsklotz

Auch wenn Kanzler Schröder immer noch seinen Privatsitz in Hannover hat: Das einzige nur-SPD-regierte Land stellt sich im Bundesrat gerne auch gegen rot-grüne Bundespolitik. Beispiele: Sicherheitspaket II und Naturschutzgesetz

HANNOVER taz ■ Der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling schwärmte in Berlin im Bundesrat davon, dass nun die „Möglichkeiten der Datenerhebung, -übermittlung und -speicherung ausgebaut“ würden. Schließlich wolle der Bürger „keine Schwächung des Staates, sondern seine Stärkung im Kampf gegen kriminelle Elemente“.

In Hannover rechtfertigte zur gleichen Zeit Umweltminister Wolfgang Jüttner den Widerstand der Niedersachsen gegen das neue rot-grüne Naturschutzgesetz. Dem Gesetz verweigerte dann auch das einzige Bundesland, das nur von der SPD regiert wird, in der Länderkammer die Zustimmung. Neben den unionsregierten Ländern rief auch Niedersachsen gestern in Sachen Naturschutz den Vermittlungsausschuss an.

Auch wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder immer noch seinen privaten Wohnsitz in Hannover hat, auf den dort regierenden Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel und seine Landesregierung kann sich die rot-grüne Bundesregierung nicht verlassen. Zunächst nörgelte Gabriel an Berliner Vorhaben wie dem 630-Mark-Gesetz nur herum. Beim Dosenpfand probte der 42-Jähige dann erstmals den Aufstand. Inzwischen kann man sicher sein, dass Niedersachsen in der Länderkammer im Zweifel gegen die Umwelt und für die Wirtschaft oder auch gegen Bürgerrechte und für den starken Staat votieren wird.

Beim zweiten Anti-Terror-Paket, dessen Verabschiedung der 55-jährige gelernte Studienrat Bartling gestern so vehement begrüßte, suchten die Niedersachsen sogar den Schulterschluss mit Bayern. Die beiden von absoluten Mehrheiten geführten Länder brachten einen gemeinsamen Antrag auf Verschärfung des zweiten Gesetzespaketes von Otto Schily in die Länderkammer ein. Sie wollten noch schnellere Abschiebungen von verdächtigten Ausländern und mehr Schnüffelkompetenzen auch für die Landesämter für Verfassungsschutz durchsetzen. Immerhin im zweiten Punkt setzten sie sich auch durch. Der Zusammenarbeit von Niedersachsen und Bayern ist es geschuldet, dass nun Banken und Telekommunikationsunternehmen auch den Verfassungsschützern der Länder Auskünfte über Kontostände oder Telefonate geben müssen.

Beim Bundesnaturschutzgesetz fühlt sich das Land zur Verteidigung der Interessen der Bauern berufen. Die konkreten Vorschriften zu einer standortangepassten Landwirtschaft, die das rot-grüne Gesetzesvorhaben enthält, will Niedersachsen durch allgemeine Formeln ersetzen, die die Bauern zu nichts verpflichten. So sollen sie wertvolle Biotope „nach Möglichkeit vermehren“ und nur „vermeidbare Beeinträchtigungen“ vorhandener Biotope unterlassen. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Niedersächsischen Landtag warf der Regierung Gabriel gestern denn auch einen „Blockadekurs gegen Naturschutz und Agrarwende“ vor. Das neue Naturschutzgesetz ist zwar eigentlich im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Eine Zweidrittelmehrheit der Länderkammer könnte es dennoch zu Fall bringen. JÜRGEN VOGES