Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Berlin, S-Bahnhof Westkreuz

Werbung ist für jeden Spaß zu haben. Und zum Jahresende erwacht in den Werbetreibenden offensichtlich noch einmal ein unbändiger Spieltrieb. Werbung ist schließlich keine hehre Kunst, die sich immer so viel Mühe gibt, uns zu unterhalten und gleichzeitig zu belehren. Der Werbung reicht das Delektieren voll und ganz – wie weit das Interesse des Passanten über den unmittelbaren Kaufreiz hinausreicht, ist ihr ziemlich piepe.

„Test it“ könnte demzufolge auf jedem Werbeplakat stehen. Jahreszeitlich ganz auf der Höhe, schickt etwa „West“ im Moment drei Königinnen aus dem Morgenland ins Rennen um blau verqualmte Weihnachtsfeiertage. Die drei exotischen Grazien (eine dunkelhäutig, eine asiatisch, eine blondhaarig) haben nicht Weihrauch und Myrrhe im Reisegepäck, sondern eine überdimensionale Packung Zigaretten mit Mandelaroma. Wie so oft bei der „West“-Werbung ist nicht ganz klar, wer hier testen soll – die schrillen Königinnen oder die sportiv-bodenständige junge Frau, die mit Glimmstengel neben ihnen steht, als würde sie sagen: Mädels, ihr seid ja vielleicht voll abgedreht, aber ich hab’ die guten Zigaretten.

Die Deutsche Bahn AG treibt den Weihnachtsspaß noch eine Drehung weiter und traut sich was. Im Zuge ihrer Charmeoffensive im Großraum Berlin, mit der sie genervte Fahrgäste über die jahrelangen multiplen Beeinträchtigungen im Bahnverkehr trösten will, dreht Maulwurf Max den Bahnkunden eine lange Nase. Sind Baustellen nicht eigentlich etwas Wunderbares?, signalisiert das Plakat. Und: Berliner haben demnach das ganze Jahr Weihnachten. Mutig!

Da sage noch einer, irony sei over. Bei Carl Zeiss und seiner Weihnachtswerbung kann man sich da allerdings nicht so ganz sicher sein. Handelt es sich hier um eine brillante Parodie der Sechzigerjahrewerbung, die noch mit einem lachenden Gesicht, einem Produkt und einem Markennamen auskam? Oder glaubt man in Jena tatsächlich, dass ein Taschenfernglas die Lösung aller Geschenkprobleme darstellt?

Warum lacht die Frau auf dem Plakat eigentlich so quietschvergnügt? Weil sie endlich nicht mehr weiter nach einem Geschenk Ausschau halten muss? Oder hat sie beim Spannen in Nachbars Garten etwas ungeheuer Amüsantes beobachtet? Hat sie selbst „Das Geschenk!“ bekommen und heuchelt nun überbordende Euphorie? Hat sie zu viel Eierpunsch genossen? Fragen über Fragen. REINHARD KRAUSE