„Wir sind sensationell nah dran“

■ Die Macher des Nordwestradios reagieren im taz-Interview auf die heftige Kritik an ihrem Programm

Am 1. November belegte Radio Bremen seine Frequenz 88,3 neu: Statt der altgedienten Kulturwelle Bremen 2 sendet nun das Nordwestradio. Der NDR ist mit sechs Millionen Mark (die Hälfte der Programmkosten von 12 Millionen Mark) und bislang vier von insgesamt 36 festen MitarbeiterInnen beteiligt. Ein Interview mit den Machern der neuen Welle.

taz: Seit sieben Wochen ist das Nordwestradio auf Sendung. Klingt es schon so, wie Sie sich das vorstellen?

Werner Blinda: Wir sind froh, dass uns überall bescheinigt wird, dass wir einen gelungenen Sende-start gehabt haben. Wir machen etwas, was es in dieser Form in der bundesrepublikanischen Rundfunklandschaft noch nicht gegeben hat: Aus allen Genres heraus ein so genanntes harmonisches Klangbild zu konzipieren – also eine verlässliche musikalische Anmutung über den Tag, die den Hörer begleitet.

Jörg-Dieter Kogel: Ich finde, wir sind schon sensationell nah am Ideal dran. Beim Bremen-2-Journal haben wir damals ein Jahr gebraucht bis wir dachten, das kann man so machen.

Bei der Musikfarbe klagen viele über Frank-Sinatra-Lastigkeit und Easy-Listening-Gedudel.

Kogel: Der Musikfahrplan des Tages geht von der „Academy of St. Martin in the Fields“ über Alfred Brendel und Jethro Tull zu Lionel Ritchie und Ray Charles. Das sind den ganzen Tag über stabile Formate von hohem Wiedererkennungswert.

Blinda: Wir machen den Versuch, als Kultur- und Informationskanal ein formatiertes Tagesprogramm zu machen.

Jetzt erreichen wir über den Tag unterschiedliche Hörerschichten, das ist der große Vorteil. Und deswegen bin ich auch wirklich optimistisch, dass wir die Zielvorgabe von drei Prozent Marktanteil im Jahr 2005 auch wirklich erreicht haben werden.

Wie ist denn derzeit Ihre Quote?

Blinda: Das kann ich Ihnen überhaupt noch nicht sagen. Wir werden frühestens im August die Media Analyse für das aktuelle Winterhalbjahr bekommen.

Von außen gibt es eine Menge Kritik an der neuen Welle. Was ist denn aus Ihrer Sicht verbesserungsbedürftig?

Blinda: Wir müssen das Musikrepertoire weiter entwickeln, um von derzeit 1.500 auf 2.500 oder 3.000 Titel zu kommen. Außerdem haben wir zu wenig darauf hingewisen, dass ausführliche Nachrichten zur halben Stunde kommen. Jetzt haben wir auch die Nachrichten zur vollen Stunde von 1.30 auf drei einhalb Minuten verlängert.

Aber es stieß auch auf, dass die Niedersachsen-Nachrichten vorne waren.

Blinda: Auch diese Mischung haben wir verändert. Jetzt sind die Nachrichten klassisch strukturiert: international, national, regional. Das gibt den Hörern eine bessere Orientierung.

Ludger Vielemeier: Wir sind sehr offen für Kritik. Wir hatten am Anfang um 7.10 Uhr ein Lesestück. Das war zu wenig aktuell, da machen wir jetzt das Thema des Tages. Und die Gesprächszeiten sind mittlerweile auf zwei Stunden konzentriert (10 bis 11 und 14 bis 15 Uhr) mit jeweils vier takes von jeweils bis 18 Minuten Länge. Wir werten sehr intensiv jede einzelne Hörerreaktion aus. So war Musikmoderation sehr gewünscht, das fügen wir jetzt dosiert ein.

Blinda: Zu der in Bremen geäußerten Kritik: Es gibt eine Menge Nostalgie. Bremen 2 war gut, aber seine Zeit war abgelaufen. Übrigens wissen wir, dass die Kritik zum Teil organisiert ist.

Sie meinen die Initiative „Hörsturz“?

Blinda: Ich meine eher die Berichterstattung in den anderen Medien. Die Leute von „Hörsturz“ kennen wir alle persönlich. Aber ich warte immer noch auf die Einladung zu einer Diskussion.

Man hat den Eindruck, Sie berichten zu drei Vierteln aus der Region. Ist das eine adäquate kulturelle Gewichtung?

Vielemeier: Ich will mich da auf eine konkrete Zahl nicht festlegen. Aber Bremen hat doch schon einen sehr ausgeprägten Schwerpunkt. Alles was wichtig ist, machen wir auch.

Aber was letztendlich gesendet wird, entscheiden doch andere: Nämlich die Wellenredaktion.

Vielemeier: Sie können davon ausgehen, dass etwa 90 Prozent der Vorschläge aus der Fachredaktion übernommen werden. Da gibt es ein harmonisches Miteinander, das mich geradezu überrascht hat.

Blinda: Für das Verhältnis von Land Bremen zur Region haben wir als Orientierungszahlen ungefähr 30 zu 70. Darauf haben wir uns mit dem NDR verständigt – wie übrigens auch über das Verhältnis von 40 Prozent Wort und 60 Prozent Musik. Wir haben hier ein Beispiel für die Weiterentwicklung gehobener Programme geschaffen, um diesen Begriff mal zu verwenden. Wir sind als Radio Bremen wieder ein paar Schritte voraus – vor der Politik. Wir waren das bei der Entwicklung von „buten un binnen“ – was Koschnick zunächst nicht wollte – wir waren das bei Radio Brenmen 4 als erstem öffentlich-rechtlichen Jugendprogramm und wir sind es mit dem Nordwestradio mal wieder.

Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben wir die offizielle Zuständigkeit für die Küstenregion.

Kann man Sie in Ihrem neuen „Hoheitsgebiet“ denn wirklich hören? Technisch hat sich ja nichts verändert: Sie senden auf der alten Frequenz, sind aber für ein wesentlich größeres Gebiet zuständig. Bei den Hörern in Emden etwa soll's da Probleme geben. Berichten Sie über Gebiete, in denen Sie gar nicht empfangen werden können?

Blinda: Unser Sendegebiet ist etwa zu 95 Prozent von unserer terrestrischen Reichweite abgedeckt. Wir haben in der Tat gewisse Probleme, zum Beispiel vor Leer und Emden, weil wir da von Autoradios oder von Geräten in Kellerzimmern nicht empfangen werden können. Aber wir sind ja auch nach wie vor – wie Radio Bremen 2 – auf dem Satelliten. Wir kriegen Zuschriften aus der gesamten Republik.

Trotzdem können Sie nicht von allen gehört werden, aus deren Gegend Sie berichten.

Vielemeier: Wissen sie, wenn die Emder sich darüber beschweren, dass sie nicht hören können, was wir machen, dann freue ich mich zum Teil darüber – dann wissen wir nämlich, dass da Interesse da ist.

Blinda: Wir übernehmen ja gewisse Stärken von Radio Bremen 2. Es ist ja nicht so, dass es da einen radikalen Bruch gegeben hat.

Wieviel ist denn aus Ihrer Sicht im Nordwestradio noch drin vom alten Bremen 2?

Kogel: Das ist für mich nicht der Maßstab, obwohl ich 15 Jahre lang Bremen 2 gemacht habe. Wir wollen soviel wie möglich von bestimmten Genres und Traditionslinien beibehalten. Und die haben wir im Abendprogramm und am Wochenende im Nordwestradio mehr als vorher auf Bremen 2. Unsere Literaturzeit am Sonntag ist wahrhaftig kein Papiergeraschel.

Das Hörspiel zum Beispiel hat einen Sendeplatz weniger.

Kogel: Das ist wahr. Hörspiel ist das Teuerste, was wir im Radio machen. Diese Verdichtung tut uns aber nicht wirklich weh, weil wir weiterhin Spitzenleistungen bringen. Im kommenden Jahr werden wir das „Glasperlenspiel“ und den „Steppenwolf“ produzieren. Ich habe lieber einen Hörspieltermin, den ich hochkarätig besetzen kann, als zwei, die ich nicht gut bedienen kann.

Was wird aus den Sommer- und Wintergästen?

Blinda: Wir sind dabei, den Samstag als Gesprächsplatz zu entwickeln. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, die Gesprächskultur zu erhalten. Es geht darum, ob Persönlichkeiten, die früher als die „Gäste“ kamen, nach wie vor Radio Bremen als Adresse ansehen.

Aber es geht doch auch um Hörerbindung. Und da könnte man doch dem bisherigen Radio Bremen-2-Auditorium Gewohnheits- und Qualitäts-„Inseln“ im neuen Programm geben, von denen aus es sich in das neue Programm reinhören kann.

Vielemeier: Um Quote zu machen, muss man auch die gewinnen, die zufällig reinschalten. Und man muss die halten, die immer schon Radio Bremen 2 gehört haben. Es gibt harmonische Übergänge, ganz wenig Pannen nur – und das überzeugt. Es hat – entgegen anders lautender Gerüchte – auch nie Moderatorenwechsel in laufenden Sendungen gegeben.

Blinda: Wenn man sich behaupten will, muss man ein anderes Programm machen als Bremen 2 – das hatte ja nur einen Marktanteil von 1,3 Prozent. In den 90er Jahren hat Radio Bremen seine Erfolge in der Region zurück gefahren. Dadurch haben wir uns immer stärker auf die beiden Städte bezogen. Aber ein Sender nur für zwei Städte hat keine Zukunft. Unser Erfolg muss in der Region liegen. Qualitativ spielen wir dabei nicht Regionalliga, sondern in der Champions League.

Auch in Bezug auf Bremen?

Vielemeier: Was wir jetzt machen, bedeutet eine Stärkung des Oberzentrums Bremen. Die Menschen in der Region, das sind 2,3 Millionen über 14-Jährige, kommen jetzt ja selbst im Programm vor und kriegen auf diese Weise Kontakt zur Bremer Kultur.

Aber da Bremen 2 die selbe Reichweite hatte, ist der Werbeeffekt doch der selbe.

Kogel: Das alte bleibt, wurde sogar ausgebaut und es kommt noch etwas hinzu – weil wir mehr Sendeplätze haben als früher. Was wir früher in drei Stunden unterbringen mussten, verteilen wir auf den ganzen Tag, sehr verdichtet manchmal. Übrigens machen wir jetzt auch als Veranstalter mehr als zuvor.

Wie soll denn das gehen, wenn die Mittel dafür um zwei Drittel gekürzt werden – auf unter 400.000 Mark?

Kogel: In dem wir uns Kooperationspartner suchen.

Vielemeier: Eine Region lebt immer vom Miteinander ländlich geprägter Gebiete mit einem Oberzentrum. Die Region soll ja sowieso zusammen wachsen. Das können wir doch abbilden und zu einer gemeinsamen kulturellen Identität beitragen.

Aber ist 30/70 dann die adäquate kulturelle Gewichtung?

Kogel: Kultur in Deutschland kommt aus der Provinz. Schiller und Goethe waren in Weimar und andere noch weiter hinterm Dorf...

Die Etat-Reduzierung um ein Drittel verlangt keine Abstriche?

Kogel: Wir machen mehr Programm auf mehr Sendeplätzen mit weniger Geld.

Blinda: Natürlich ist die Kooperation mit dem NDR aus einer Not heraus geboren – mal abgesehen davon, dass es Überlegungen für ein Nordwestradio schon seit acht Jahren gab. Aber das wir versuchen, aus dieser Not eine Tugend zu machen, das kann man uns doch wirklich nicht vorwerfen. Die Alternative wäre gewesen: Die Frequenz aufzugeben. Radio Bremen 2 war nicht mehr zu finanzieren.

Ich habe nur 12 Millionen direkte Programm-Mittel. Trotzdem gelingt es uns sehr gut, ab 18.30 Uhr ein bestimmtes Programmangebot, dass es bei Radio Bremen immer gegeben hat, fortzuführen. Wir sind nach wie vor eine Adresse für Top-Künstler.

Interview: Henning Bleyl