Vier Pforten, die Berlin bedeuten

Übermorgen ist Heiligabend. Nur noch zwei Türchen sind am Adventskalender geschlossen, alle anderen stehen weit offen. Und was war dahinter? Meist billige Schokoladetafeln mit Glocken- und Pilzmotiven. Höchste Zeit also, endlich die interessantesten Türen der Stadt aufzuschließen

von SUSANNE AMANN
und ULRICH SCHULTE

Ein Unding. Türen finden, möglichst repräsentiv für die Stadt, aber gleichzeitig spannend. Und kaum einer darf sie geöffnet haben. Die Lösung: Eine strikte Auswahl und Konzentration auf den Superlativ. Wie nun beginnen? Ganz klar. Zu Beginn steht die, hinter der über die Zukunft entschieden wurde. Nämlich . . .

Die Wichtigste

Rotes Rathaus, 3. Stock, Saal 337 der Senatskanzlei: Hier saßen sie also. Wowereit, Gysi, Liebich und die anderen, als sie über die Zukunft der Stadt rätselten. Eine zweiflüglige Kassettentür aus schwerem Holz, Eiche vielleicht, gut vier Meter hoch, schützte sie vor der Außenwelt. Dahinter liegt der Louise-Schroeder-Saal, welcher vor der Wende wegen der Stofffarbe der Tischdecken einmal „Grüner Saal“ hieß.

Grün ist Vergangenheit, heute ist das verlassene Quadrat aus Konferenztischen: davor 44 Sitze. Die Stahlrohrstühle geben dem Bequemlichkeit Suchenden nur wenig nach. Sitzfläche und Lehne sind aus schwarzer Kunstfaser, zwei dünne, scharfkantige Holzarmlehnen verhindern Sekundenschlaf. Obwohl das Licht dazu einlädt. Mattbunte Bleiglasfenster filtern vor, und auch die neun Leuchtscheiben an der Decke strahlen allenfalls diffus.

Auf einem der Konferenztische steht ein Glas, niedrig und breit, auf dem dicken Boden ein golden-flüssiger Rest. Whiskey? Die schnelle Einigung eine rot-rote Verbrüderung im Vollrausch? So könnte es gewesen sein: „2,1 Milliarden am Personal sparen, boah, ist das nicht zu happig, Klaus?“ „Quatsch, Gregor. Hier, trink noch einen.“ „Ab . . . ab . . . aber der Fluuughaawen, der mussss doch nicht ssein . . .“ „Reich mal die Flasche rüber, Strieder. Uuund ex!“

Der Geruchstest beendet alle Spekulation: Apfelsaft. Es wird also alles seine Ordnung gehabt haben, als sich die Tür am Donnerstagmorgen gegen 3.30 Uhr nach 15 Stunden öffnete und die Regierungsgenossen über die Schwelle traten. Im Flur kamen sie dann am Porträt der Namensgeberin des Saales vorbei. Die ehemalige sozialdemokratische Oberbürgermeisterin Louise Schroeder (1887–1957) schaut durch ihre runde Brille gütig von der schlichten, holzgerahmten Kohlezeichnung. Fast unmerklich lächelt sie. US

Die Luxuriöseste

Hotel Four Seasons, zweiter Stock, Zimmer 252: Es geht ganz einfach: Unten an der marmorverkleideten Rezeption die Kreditkarte zücken, sich 530 Euro abbuchen lassen, dem Gepäckträger die Kofferkollektion von Louis Vuitton überlassen und mit dem Lift in den fünften Stock entschweben. Dann die Tür, schlicht und beige, Zimmer Nr. 525, eine von 42 Suiten.

Ankommen ist Heimkommen, so will es das Four Seasons. Und auch wenn es bei mir zu Hause ein wenig anders aussieht, könnte ich mich hier wohl fühlen. Wenigstens für ein paar Nächte . . . Also dann: Schuhe aus, rein in die bereitgestellten, leider nicht vorgewärmten Hausschlappen. Der breite, tiefe Stoffsessel ruft nach mir, lädt förmlich dazu ein, die Beine hochzulegen, in den Händen die Fernbedienungen: DVD, Stereoanlage oder einfach normales Fernsehen? Doch nur im Sessel fläzen wäre zu profan. Entspannen kann man hier auf viel angenehmere Weise. Wie wär’s im Marmorbad, in der Wanne, in der man ob der Größe alleine fast untergeht, als Wellness-Badezusatz vielleicht „Harmonie“ mit Geraniumöl und Baldrian? Oder doch lieber zwei Stunden Hawaiianische Massage für nur 254,25 Mark? Danach kuscheln wir uns in den flauschigen Bademantel, hängen unsere Klamotten an die schwarzsamtenen Kleiderbügel mit der kleinen Perle und ruhen uns auf dem Bett mit der eigens angefertigten Matratze noch ein wenig aus.

Für die Dinnerparty am Abend fehlt zwar noch das passende Kleid, aber da lächelt der Service nur müde und verweist auf den hauseigenen Kleiderschrank. Mit dem lässt sich auch der exklusive Geschmack befriedigen, leihweise versteht sich. Und wer am ersten Tag vergessen hat, den Health- und Fitnessbereich, das Gourmetrestaurant, den Express-Bügeldienst, die Konferenzräume oder den Chauffeurservice zu nutzen, der zücke noch einmal seine Kreditkarte. Es geht ganz einfach. ANN

Die Geheimnisvollste

U-Bahnhof Kleistpark, Zwischengeschoss: Sie ist leicht zu übersehen. Eine gelbe Stahltür mit Sicherheitsschloss, zwei Kreuzschrauben halten eine Plakette mit der eingestanzten Nummer 314. Die Rolltreppe schaufelt Pendler mit grauen Gesichtern in das Zwischengeschoss. Wahrscheinlich bemerken sie die Tür seit Jahren nicht.

Sie fällt mit sattem Klang zu. 18 Stufen aus Stein, 33 aus Stahl führen in die Tiefe. Die nette Angestellte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) drückt auf einen Lichtschalter und gelbliche Neonröhren enthüllen das Geheimnis des U-Bahnhofs Kleistpark. Einen Bahnhof unter dem Bahnhof. Im Jahr 1972 plante die Verkehrsgesellschaft noch, irgendwann eine Linie U 10 von Weißensee bis zur Drakestraße in die Erde zu treiben. Sie wurde nie gebaut. „Übrig ist der Bahnhof. Ein Rohbau halt“, sagt die Mitarbeiterin, doch sie steht in einem Betongewölbe, in dem ein kompletter Zirkus überwintern könnte. Eine unterirdische Kathedrale, deren warme Luft nach Staub riecht. Die Wände, die Decke in acht Meter Höhe, alles ist aus Stahlbeton, der matt in allen Schattierungen zwischen Granit- bis Taubengrau schimmert. Auf den senkrechten Oberflächen haben vor fast dreißig Jahren Wassertropfen streifige Spuren hinterlassen. Eckige Säulen werfen scharfe Schatten auf den Bahnsteig. Schaut man lange genug hin, scheinen im Halbdunkel Gestalten aufzutauchen, rauchend und wartend. Ein Geisterzug würde rauschend einfahren, sie schlucken, dann wäre es wieder still. Die Wirklichkeit holt die träumende Station 30 Meter unter der Stadt ein, wenn oben ein Zug der U 7 hält. Dann rollt unten ein Rumpeln zwischen den Wänden vier, fünf Mal hin und her. Auf einem Vorsprung hat ein Arbeiter irgendwann seinen Handschuh vergessen, daneben liegt eine zusammengeknüllte Schachtel Westpoint Filters, rot. Sonst liegt nichts herum. „Wer sollte auch etwas hinwerfen“, sagt die BVG-Frau. „Hier ist nie jemand.“ US