Er widersprach und erzeugte Widerspruch

„Schlau, dialektisch, immer solidarisch . . .“ – Wir dokumentieren Ausschnitte aus der Trauerrede des ehemaligen PDS-Fraktionschefs und Senators in spe, Gregor Gysi, für Stefan Heym am Freitag auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee

[. . .] Stefan Heym hatte zweifellos [. . .] ein erfülltes Leben, das die Spannungen und Herausforderungen dieses Jahrhunderts widerspiegelte, wie selten ein einziges Leben. Er hat alles kennengelernt: Armut und Wohlstand, Krieg und Frieden, Verfolgung und Ehrung. Er wurde gehasst und geliebt. Er widersprach, und er erzeugte Widerspruch.

In seiner Jugend bot er den Nazis die Stirn und emigrierte über die Tschechoslowakei in die USA, die ihn aufnahmen. Dort schrieb er seinen ersten großen Roman, der ihn berühmt machte: „Hostages“. Er kämpfte nicht nur mit der Feder, sondern auch mit der Waffe als Soldat und Offizier der US-Streitkräfte. Nach der Zerschlagung des NS-Regimes kehrte er auf abenteuerliche Weise nach Deutschland zurück, konkret in die DDR. Sie blieb bis zu ihrem Ende sein Land. Die Führung der SED und der DDR glaubte, ihn zu überleben. Es kam umgekehrt, er überlebte die DDR. Das hat er aber nicht gewollt. Er war Sozialist, und gerade deshalb kritisierte er deutlich und mutig sein Land, die DDR, und zwar alle unterdrückenden und Freiheit einschränkenden Erscheinungen von Stalinismus und Poststalinismus. Die Folgen waren: Überwachung, ein Strafverfahren, Ausschluss aus dem Schriftstellerverband und die Weigerung, einige seiner wichtigsten Romane zu veröffentlichen. [. . .] Ende 1989 wollte er den Untergang der DDR verhindern, stattdessen Demokratie und Sozialismus verbinden. Hätten SED- und DDR-Führung auf die Heyms gehört, wie anders wäre die Geschichte der DDR verlaufen! Selbst wenn sie trotzdem untergegangen wäre, wie anders wäre sie untergegangen!

So wie er war, konnte es nicht ausbleiben, dass er sich nach der deutschen Einheit wieder mit den Regierenden anlegte. Nein, verfolgt wurde er nun nicht mehr, aber missachtet schon. Dieser parteilose Sozialist kandidierte für die PDS – trotz ihrer Herkunft aus der SED – und wurde Alterspräsident des Bundestages. Er eröffnete ihn mit einer bedeutenden Rede und musste die Verachtung einer großen Fraktion ertragen. Seine Kämpfernatur forderte das nur noch stärker heraus.

In diesen Jahren hatte ich viele Begegnungen mit ihm. Seine Weisheit war bestechend. Er war auch schlau, dialektisch, immer solidarisch und freundschaftlich. Aber er konnte auch stur und mürrisch sein, und nie wusste man, wofür man sich die nächste deutliche Kritik von ihm einholte, aber sie kam gewiss. Gerade das machte ihn auch so menschlich. [. . .]