: Nichts für zittrige Hände
Auch nach der Vorrunde der Tischtennis-Bundesliga sind die Meinungen über die neue Zählweise bis 11 noch geteilt: Die Traditionalisten klagen, junge Spieler wie Timo Boll zeigen sich jedoch angetan
von HARTMUT METZ
„Das Spiel hat seine eigene Musik verloren“, findet Andrzej Grubba, „Einleitung, Hauptteil und Schluss gibt es nicht mehr.“ Kein falscher Akkord beleidigt dabei das Ohr der „polnischen Violine“, wie ihn die Bibel der Pingpong-Artisten, Table Tennis Legends, bezeichnet. Nein, den ehemaligen Weltklassespieler stört die neue Zählweise im Tischtennis bis elf. Der Trainer von Meister TTC Grenzau mag auch nach Ende der Bundesliga-Vorrunde keine kürzeren Sätze, obwohl sein Quartett vor Rückrundenbeginn am 6. Januar erneut mit 18:0 Punkten die Tabelle souverän anführt.
„Ich traf einst einen US-Amerikaner. Der wusste von Tischtennis nicht viel: Die Bälle sind weiß, der Tisch grün und jeder Satz geht bis 21. Mittlerweile sind selbst die Tische blau und die Bälle orange“, klagt Grubba. Dem Traditionalisten gehen die Veränderungen nach 100 Jahren Konstanz zu rasch. „Das war eine Revolution. Größere Bälle im Vorjahr, anstatt zwei Gewinnsätze bis 21 nun drei bis 11 und alsbald werden die Aufschläge weiter reglementiert. Wir im Profibereich können damit leben. Ein guter Spieler bleibt ein guter Spieler, aber die Basis kann sich nicht mehr mit Tischtennis identifizieren“, glaubt der oberste Übungsleiter an der Tischtennisschule Zugbrücke Grenzau.
Das Gros der Klubspieler hat sich inzwischen jedoch mit den kürzeren Sätzen arrangiert. Die angedrohte Austrittswelle blieb beim Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) aus. Gingen anfangs 500 Protest-E-Mails pro Woche ein, ist es inzwischen nur noch eine. Es murren bloß noch Taktiker, die bei fünf anstatt zwei eigenen Aufschlägen ihr Spiel durchdachter aufziehen können, meint Pavel Levine. „Bis 21 war Tischtennis berechenbarer“, urteilt der russische Trainer der DJK Offenburg. Jörg Roßkopf macht kein Hehl aus seiner Abneigung. Das 32-jährige deutsche Aushängeschild schätzt die „vielen Überraschungen“ überhaupt nicht. Gewiss trugen auch Verletzungen zu seiner negativen Bilanz bei – aber an 6:8 Einzelzähler kann man sich in der Bundesliga bei dem Exeuropameister kaum erinnern.
Verächtlich klingt es, wenn der arrivierte Weltranglistenelfte auf die Dutch Open verweist, bei denen sich ein 51 Plätze tiefer notierter Pole durchsetzte: „Wenn einer wie Krzeszweski ein internationales Turnier gewinnt, zeigt das, dass jeder jeden schlagen kann.“
Timo Boll. Roßkopfs Mannschaftskamerad beim Tabellendritten Gönnern und am Donnerstag überragender Spieler beim Gewinn der Europaliga gegen Österreich in Aalen (siehe unten), zählt zu den Befürwortern der elf Punkte. „Die Spiele sind spannender. Für mich ist die Zählweise auch positiv, weil ich keiner bin, der bei 10:10 die Zitterhand bekommt“, verweist der 20-jährige Weltranglisten-15. vor allem auf die Eigenschaft, die nun mehr denn je gefragt ist: Nervenstärke.
Allem Lamento zum Trotz wurde Tischtennis für das Publikum attraktiver. Begann früher ein Satz, holte sich der gemeine Zuschauer noch rasch ein Brötchen, plauschte mit dem Nachbarn hier oder einem Bekannten dort. Erst wenn die Spieler an 15, 16 Punkte heranrückten, wuchs die Aufmerksamkeit. „Jetzt sind die Fans von Anfang an dabei“, registriert Boll angesichts der um rund ein Achtel reduzierten Spielzeit. Drei Viertel der Zuschauer lobten die neue Zählweise bei einer Befragung während der German Open in Bayreuth. Nur 2,8 Prozent finden, Tischtennis sei „langweiliger“ geworden. Die 12 Prozent, die die schnellste Ballsportart jetzt für „unübersichtlicher“ halten, will der Präsident des Weltverbandes ITTF, Adham Sharara, mit einer weiteren Reform überzeugen. Die ständige Wechselei in den Doppeln könnte nach Ansicht des Kanadiers dadurch gelöst werden, dass in jedem Satz immer nur einer der zwei Spieler aufschlägt.
Ein weiterer Vorzug der kürzeren Sätze besteht darin, dass Abwehrspieler, die spektakuläre Ballwechsel garantieren, mehr Chancen haben. Den Gegnern bleibt weniger Zeit, um sich auf die Schnittvarianten einzustellen. Die Koreanerin Kim Bok Rae sieht „durch die Regeländerungen Vorteile für uns Abwehrspieler“ – ja, sogar der Gewinn eines WM-Titels scheint nach über 20 Jahren wieder möglich gegen all die Schmetterkünstler.
Die ITTF wollte Tischtennis auch außerhalb Asiens zur begehrten TV-Ware puschen. Während Roßkopf vor der Saison desillusioniert klang („Ob wir bis 6, 11, 15 oder 21 spielen – Tischtennis wird in Deutschland sowieso nicht im Fernsehen gezeigt“), freut sich sein Kronprinz Boll über kleine Fortschritte. „Die Bundesliga wird in der Rückrunde wieder im DSF übertragen.“ Außerdem zeigt Eurosport die EM in Zagreb. Um aber in Deutschland aus der Nische der Spartensender herauszukommen, hilft nur eines: „Ein großer Erfolg muss her.“ Dass nur er selbst für diesen sorgen kann, weiß Timo Boll sehr genau.
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