Eilige Flucht aus dem Autistenparadies

Nach nur 740 Tagen muss Argentiniens Präsident Fernando de la Rúa sein Amt niederlegen

BUENOS AIRES taz ■ Mit Fernando de la Rúa sollte alles anders werden: Keine Korruption, weniger Armut, mehr Gleichheit. Nach der langen Amtszeit seines peronistischen Vorgängers Carlos Menem, die als korrupt-frivole „Fiesta Menemista“ in die argentinische Geschichte einging, war die Zeit reif für den Biedermann de la Rúa. Er gewann die Wahlen mit einem Werbespot, in dem er zugab ein Langweiler zu sein, aber ein ernsthafter Langweiler. Mit diesem Image verkörperte er das genaue Gegenteil des Partypräsidenten Carlos Menem. Aber nur Anti-Menem zu sein war nicht genug.

Dabei hat de la Rúa keine schlechte Figur gemacht, als er 1996 erster gewählter Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires wurde – bis dahin war die Stadtregierung stets vom Präsidenten eingesetzt worden. Mit de la Rúa zog in der Stadt ein anderes Klima ein. Heruntergekommene Plätze wurden renoviert, kostenlose Kulturveranstaltungen in die Stadt geholt und längst nötige Renovierungsarbeiten wurden in Angriff genommen. Der promovierte Juritst de la Rúa schien der geborene Verwalter zu sein.

In seiner sozialdemokratisch orientierten Radikalen Bürerunion (UCR) gehört de la Rúa dem rechten Flügel an. Schon als Schüler war der heute 64-jährige in der Jugendorganisation der UCR aktiv, auch sein Vater war bereits Politiker. De la Rúa ist ein Abtreibungsgegner und geprägt von einem konservativ-christlichen Weltbild.

Aber schon 1999, als Präsidentschaftskandidat des neu gebildeten Wahlbündnisses zwischen UCR und dem Mitte-Links-Block Frepaso, war die Widersprüchlichkeit der Figur Fernando de la Rúa sichtbar. Er versprach, das Einkommen in Argentinien besser zu verteilen – und entstammt selbst einer traditionellen Bourgeois-Familie. Er kündigte Sozialprogramme an – und versicherte doch, das neoliberale Wirtschaftsmodell nicht anzutasten und schon gar nicht die Peso-Dollar-Parität. Hatte de la Rúa einmal den Amtsschwur geleistet, waren die Vorsätze schnell in Vergessenheit geraten, das Bündnis mit der Frepaso zerbrach bald.

Von Menem hatte de la Rúa jede Menge Probleme geerbt. Seit 1998 steckte die Wirtschaft in einer Rezession. In 10 Jahren Menem-Regierung hatten sich die Staatsschulden verdoppelt – eine schwere Hypothek. Als sich die Finanzkrise verschärfte, wusste de la Rúa, eingemauert in ein Labyrinth von Sachzwängen, kein anderes Konzept als weiterzumachen wie bisher.

Als Präsident war de la Rúa ein Mann ohne politische Inhalte. Als autoritäre Vaterfigur, als ein Patriarch der alten Schule, verschloss er sich der Realität. Dass er ausgerechnet seinen Sohn zu einem seiner engsten Berater gemacht hatte zeigt, wie wenig er von außen zur Kenntnis nehmen wollte. So schuf sich de la Rúa im Präsidentenpalast Casa Rosada sein Autistenparadies, in dem er sich eingemauert hat.

INGO MALCHER