Ein Regierungschef mit begrenzter Macht

Hamid Karsai hat eine schwere Aufgabe vor sich: Er soll in sechs Monaten zerstrittene Machtgruppen miteinander versöhnen

BERLIN taz ■ Mit einer feierlichen Zeremonie soll heute Vormittag in Kabul die zunächst für sechs Monate amtierende afghanische Interimsregierung unter dem Vorsitz von Hamid Karsai eingesetzt werden. Die Zusammensetzung des 30-köpfigen Kabinetts war von den vier an der Bonner Afghanistan-Konferenz beteiligten Gruppen ausgehandelt worden. Die Regierung wird zunächst von der UNO bezahlt und soll im Frühjahr von einer durch eine traditionelle Ratsversammlung (Loja Dschirga) eingesetzten zweiten Übergangsregierung auf breiterer Grundlage ersetzt werden. Auf diese soll dann in etwa zwei Jahren eine gewählte Regierung folgen.

Der im Oktober zum Kampf gegen die Taliban aus dem Exil zurückgekehrte Karsai muss jetzt nicht nur untereinandere verfeindete Warlords einbinden, sondern wird auch innerhalb seiner Regierung nur über beschränkte Macht verfügen. Um etwa einen Minister entlassen zu können, muss Karsai nach dem Bonner Abkommen diesem einen Verstoß gegen die Kabinettsregeln nachweisen und benötigt darüber hinaus eine Zweidrittelmehrheit aller Minister. Beschlüsse des Kabinetts sind nur gültig, wenn mindestens 22 der 30 Minister an der Sitzung teilgenommen haben. Während der Paschtune Karsai so behindert wird, hat die Nordallianz die wichtigen Posten Verteidigung, Äußeres und Inneres unter Kontrolle. Nach Meinung von Beobachtern agierte Karsai bisher recht geschickt. Dennoch zeigte sich zum Beispiel bei der Einnahme Kandahars, als sich ein Warlord nicht an eine von Karsai zuvor ausgehandelte Vereinbarung hielt, wie begrenzt seine Macht ist. Jetzt muss er sich zunächst mühsam Respekt erwerben, wobei er immer wieder Kompromisse wird schließen müssen.

Die Herausforderungen sind immens. Am dringlichsten sind:

Sicherheit. Sie ist die Voraussetzung für Entwicklung. Die multinationale Schutztruppe wird hierzu in Kabul beitragen, im Rest des Landes gilt es die Kämpfer der Warlords zu entwaffnen und ihnen eine zivile Perspektive zu bieten. Justiz und Polizei müssen aufgebaut, ein Comeback der Taliban muss verhindert werden.

Entminung: Nach Schätzungen gibt es in Afghanistan bis zu 20 Millionen Minen. Hinzu kommen Blindgänger der US-Luftangriffe. Das UN-Minenaktionsprogramm schätzt die Kosten der Entminung auf 1,1 Milliarden Dollar.

Linderung der humanitären Not: Sieben Millionen Afghanen, rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, nur die wenigsten werden medizinisch versorgt. Jedes vierte Kind stirbt vor dem Alter von fünf Jahren, jeden zwölfte Frau bei der Geburt eines Kindes.

Wiederaufbau der Infrastruktur: Nach EU-Schätzungen werden in den nächsten zehn Jahren jährlich ein bis zwei Milliarden Dollar benötigt, um Städte, Transport-Infrastruktur und Bewässerungseinrichtungen wieder herzustellen. Schulen und Krankenhäuser brauchen dringend Investitionen.

Wirtschaftliche Entwicklung: Für die im März beginnende Aussaat müssen Saatgut und Bewässerung bereitstehen und die Felder entmint werden. Der Anbau von Opium muss durch die Umstellung auf andere Produkte beendet werden.

Rückführung der Flüchtlinge: Dabei geht es um Betreuung und Integration von über drei Millionen Geflohener, die meistenteils grenznah unter schlimmsten Bedingungen in Lagern der Nachbarländer leben.

Politische Entwicklung: Die Regierung soll nach dem Bonner Abkommen eine Kommission zur Vorbereitung der Loja Dschirga und eines obersten Gerichtshofes einsetzen sowie die Berufung einer Übergangsregierung auf breiterer Grundlage durch die Loja Dschirga vorbereiten. SVEN HANSEN