Fest der Hiebe

Es sollte das letzte Weihnachtsfest sein, das ich bei meinen Eltern verbrachte. Und das letzte Mal, dass mein Vater versuchte, mir eine zu knallen. Bloß, weil ich meiner Ansicht Ausdruck verliehen hatte, er hätte in seinem Leben was verpasst.

Im Sommer hatte ich Angela kennengelernt, die in dem Ostseebad, in dem ich aufwachsen musste, Ferien machte. Wir waren 18 und taten, was 18-Jährige mitunter so tun, wobei Sonne, Strand und laue Nächte sich als förderlich erwiesen. Die zarten Bande, die sich solchermaßen knüpften, sollten immerhin sechs Monate halten, in denen wir uns an Wochenenden trafen. Ihre wie meine Eltern bestanden auf getrennten Zimmern, was wir für spießig aber nicht unüberwindbar hielten. Am 1. Weihnachtsfeiertag also nun kam Angela und blieb bis Neujahr. Ein Rätsel ist mir bis heute, warum in meinen Eltern erst jetzt beim Fest der Liebe der Verdacht keimte, dass wir ihrem Sittsamkeitsgebot nur ungenügend Beachtung schenkten.

Jedenfalls nahm mein Vater mich nach ihrer Abreise zur Seite mit den Worten, die erfahrungsgemäß nichts Gutes verhießen: „Ich möchte mit dir sprechen, Sohn.“ Sein Haus sei ein anständiges, und das solle es auch bleiben und ich „gefälligst sauber“. Mein beschwichtigend gemeinter Hinweis, Angela und ich seien „durchaus reinlich, vorher und hinterher“, entspannte die Atmosphäre keineswegs. Er „wünsche“, teilte er mir mit, dass ich mir ihn zum Vorbild nehme, der er seine Gattin erst „angerührt“ habe, als er „wußte, dass sie die Mutter meiner Kinder werden wird“. Da sei ihm meines Erachtens, erwiderte ich ungehalten, „aber echt was entgangen“.

Die Mutter seines Sohnes, die ob unseres inzwischen lautstark geführten Meinungsaustausches hereinstürzte, fand uns wutschnaubend Nase an Nase und Faust an Faust, was sie zu freiem Tränenfluss, dem Ringen der Hände und der Bitte veranlasste, ich solle mich an meinem Vater „nicht versündigen“.

Ein paar Monate später nach dem Abi und einem weiteren freudvollen Sommer mit Sonne, Strand und lauen Nächten entschwand ich in eine weit entfernte Stadt in ein Studentenwohnheim, das meine Eltern nur bedingt für ein anständiges Haus hielten. Und ignorierte fortan die alljährliche Frage, ob ich nicht wenigstens zu Weihnachten „nach Hause“ kommen wolle.

Sören E. Kurzhaar