Tränen in der Tiefgarage

Als Kind hatte das Wort Geschenk für mich noch einen positiven Klang. Da konnte ich Weihnachten kaum erwarten und habe schon Wochen vorher meine Geschenke im elterlichen Schlafzimmer aufgespürt. Unvergessen, wie ich mit neun Jahren das Barbie-Pferd unter dem Weihnachtsbaum gleich mit Namen ansprach, weil ich mir schon wochenlang den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie ich es nennen würde.

Mittlerweile aber wird mein Geschenk allein danach ausgewählt, welchen Betrag meine Mutter mir dafür zuerkennt. Voriges Jahr waren es 80 Mark, „dafür kriegst Du ja auch schon was Tolles“. Ich entschied mich für eine Fototasche. Tatsächlich konnte ich meiner Mutter die frohe Kunde überbringen, eine ebensolche für nur 100 Mark bekommen zu haben. Die paar Mark sind kein Problem, dachte ich. Ihr Schweigen am anderen Ende der Leitung hätte mich miss-trauisch machen müssen.

Nun wäre es meiner Mutter doch zu unfeierlich erschienen, mir Heiligabend einfach einen 100-Mark-Schein in die Hand zu drücken. Deshalb hatte sie noch Krimskrams zum Auspacken besorgt, Badesalz und ähnlich Unentbehrliches für Menschen ohne Badewanne. Ich rang mir ein Lächeln ab. Dann nahm ich den Umschlag in die Hand, der das Geld für die Fototasche enthalten sollte. Ich riss ihn auf – und hielt einen 50-Mark-Schein in der Hand. Mein Geschenk musste ich zur Hälfte selbst bezahlen. Denn nur 80 Mark hatte sie mir zugestanden, und das Geld, das sie in Badesalz investiert hatte, davon wieder abgezogen.

Tränen stiegen mir in die Augen, Gewaltphantasien vor ihnen auf. Zaghaft deutete ich an, was meine Augen bereits verrieten, als der Mann meiner Mutter unvermittelt den Fernseher anstellte und den Kleinanzeigenteil der örtlichen Zeitung aufschlug. Vorsichtig fragte ich, ob er uns damit etwas bedeuten wolle. Er fuhr hoch und schrie mich an. Allen hätte ich das Weihnachtsfest verdorben, keifte er. Weil ich keine Freude gezeigt und meine Mutter in tiefe Enttäuschung gestürzt hätte.

Es war genug. Ich sprang auf, meine Mutter auch. Ich rief, „ich gehe“, sie flehte, „Kind, bleib hier.“ Ich: „Nur wenn er sich entschuldigt.“ Sie: „Das tut er ja doch nicht.“ Da war ich schon zur Tür hinaus.

Als ich in der Tiefgarage vor dem Wagen stand, der mich von diesem Ort der Demütigung entfernen sollte, kam meine Mutter mir nach. Sie flehte mich an, wieder mit hochzukommen: „Es ist doch Weihnachten, tu es mir zuliebe.“ Das war eine Forderung, die sie nach diesem Abend eigentlich niemals mehr hätte stellen dürfen.

Eine halbe Stunde haben wir schließlich heulend zusammen in der Tiefgarage verbracht. Und uns dadurch versöhnt, dass wir gemeinsam über ihren Gatten schimpfen konnten. Die Fototasche war längst vergessen. Mein Mutter war aus dem Schneider, und ich um 50 Mark ärmer. Nicole Schütz