Eindrucksvolle Genrebilder

■ Hector Berlioz' Weihnachtsoratorium mit dem Prager Kammerchor, NDR-Chor und - Sinfonieorchester

Hector Berlioz' Weihnachtsoratorium L'Enfance du Christ, eine mehr oder weniger eindringliche musikalische Gestaltung von Genrebildern zur Flucht der heiligen Familie nach Ägypten, kennen nur Spezialisten. So offensichtlich es ist, dass dieses Werk in seiner Gesamtarchitektur nicht vergleichbar ist mit Berlioz' Symphonie Fantastique, so unbezweifelbar ist, dass dieses Werk sowohl im melodischen Erfindungsreichtum als auch in seiner formalen Offenheit von bemerkenswerter Originalität ist.

Schon deshalb ist es rühmenswert, dass Christoph Eschenbach dieses Werk für die Vorweihnachtszeit auf den Spielplan des NDR-Sinfonieorchesters und Chores gesetzt hat. Er hat sich zudem der Mitwirkung des Prager Kammerchores und hochkarätiger Gesangssolisten versichert. So waren die Voraussetzungen für einen gelungenen Konzertabend eigentlich geschaffen.

Jedoch: So ganz ging die Rechnung nicht auf. Da fiel zunächst der Tenor-Solist kurzfristig aus, was zur Folge hatte, dass mit Jean Delescluse zwar ein im französischen Fach beheimateter, für Berlioz ausgesprochen gut passender Sänger verpflichtet werden konnte. Allerdings passte Delescluse klanglich überhaupt nicht zu den anderen Solisten des Abends. Die beiden stimmlich sehr ausgeglichenen Bassisten Andreas Schmidt und Franz-Josef Seelig, der schlanke Bariton Sebastian Noack und die mit leicht ansprechender Stimme singende Mezzosopranistin Stella Doufexis agierten zwar durchweg auf hohem Niveau, wirkten in ihrer Stimmcharakteristik aber nicht wie ideale Besetzungen. Ebenso das NDR-Sinfonieorchester, das seine Stärken nicht im französischen Repertoire hat. Umso erfreulicher, dass Eschenbach dem Ensemble zumindest phasenweise subtil abschattierte Töne entlockte. Manchmal, vor allem im dritten Teil und den Chorszenen, gelang sogar eine faszinierende Mischung aus Hochspannung und Gelassenheit.

Überragend an diesem Abend waren allerdings die Chöre, die äußerst homogen wirkten. Bei allen Einschränkungen geriet der Abend so doch zu einem Hochgenuss für die durch das allüberall zu hörende vorweihnachtliche Gedudel arg strapazierten Ohren.

Reinald Hanke