Knalllaut unterm Weihnachtsstern

Es ist DAS Ereignis geblieben, ein Mega-Event. Fünfhundert Jahre nach den Spaniern gilt in Manila noch immer: Jesus lives! Wer von den Philippinen kommt, feiert Heiligabend mit so vielen Familien und Freunden aus der „Gemeinde“, wie es nur geht

von JAN DIMOG TANJUAQUIO

Jesus lebt. Auf den Philippinen ist er ein Superstar, von den Massen geliebt und absolut konkurrenzlos. In der Weihnachtszeit erreicht die Mischung aus Popstarverehrung und Heiligenliebe den erleuchteten Höhepunkt. Die Feier seiner Geburt ist DAS Ereignis, ein Mega-Event. Käme er dieser Tage noch mal auf die Erde, bräche unter den Filipinos wahrscheinlich die Jesusmania aus . . .

Er hat auf dem Archipel eine einmalige Karriere hingelegt. Im sechzehnten Jahrhundert kamen die spanischen Eroberer und brachten erfolgreich und blutig Kreuz und Knüppel, Kirche und Katholizismus mit. Nach dreihundert Jahren zogen die europäischen Besatzer ab, Jesus blieb. Im Dezember ist seine Präsenz im Land allgegenwärtig. Kein Wunder, gehören doch etwa achtzig Prozent der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche an, was die Philippinen zur großen Ausnahme in Asien macht. Mehr Katholiken gibt es nur noch in Brasilien, Mexiko und in den USA.

Der Hype im Land beginnt bereits ab Oktober, die vorweihnachtliche Dekoration wird angebracht, an Repräsentativbauten in der Hauptstadt Manila prangt in metergroßen Lettern: Jesus lives!, und neun Tage vor dem 24. Dezember beginnen die Mitternachtsmessen, die die Menschen in Scharen besuchen. Heiligabend, der Tag der Tage, ist die Steigerung von allem, was vorher war. Alles, wirklich alles kulminiert in einem Volksfest, das erst weit nach Neujahr abebbt. Das philippinische Weihnachten ist nicht besinnlich.

Natürlich besinnen sich die Menschen der Geburt Jesu. Aber dieses Besinnen hat so gar keine Ähnlichkeit mit der hiesigen Besinnlichkeit. Filipinos, die während der großen Wirtschafts- und Arbeiterwerbung in den Siebzigerjahren nach Deutschland kamen und ihr erstes Weihnachten hier erlebten, fanden höchstens eines toll: den Schnee. Ansonsten war ihnen das deutsche Fest zu leise, zu lahm, zu langweilig. Die Alten arrangierten sich mit dieser Form und feierten philippinisch, so gut es ging, also laut, lange und lebendig. Später gab es deutsche Weihnachten in der tropischen Filipinovariante. Wir, die zweite Generation, wurden so mit dieser Auslegung des Festes groß.

Beim Geruch von frisch geschälten Mandarinen und dampfendem Glühwein war man auf der deutschen Zielgeraden. Damals in der Schulzeit luden einen Klassenkameraden zu sich nach Hause ein, und zusammen stopfte man sich mit Spekulatius und Lebkuchen voll. Filipinoweihnachtlich wurde uns zumute bei Klebreis mit Kokosraspeln und der Boney-M-Popversion von „Jingle Bells“. Dann kamen die deutschen Mitschüler und Freunde in die philippinische Stube und erfreuten sich ihrerseits an der Dekoration, die aus Weihnachtssternen bestand, dem philippinischen Äquivalent zum germanischen Tannenbaum. Das Gerippe der Sterne wird aus dünnen Bambusstäben gemacht, beklebt wird es dann mit primärfarbenem Transparent- und Krepppapier. Manche Sterne haben die Größe von Kassettenhüllen oder kleinen Schränken, einige aber erreichen einen Durchmesser von mehreren Metern und könnten locker ein Hotelfoyer füllen. Diese Sterne gibt es auf den Philippinen in Einkaufszentren, Kirchen oder Parkanlagen.

In Deutschland bleiben die philippinischen Familien nur Heiligabend unter sich, am ersten und zweiten Weihnachtstag kommen so viele Familien und Freunde zusammen, wie es nur geht. Große „Gemeinden“ gibt es in Köln und Hamburg. Bei den Großtreffen haben die älteren Filipinos in dem Lärm und Chaos wieder das Gefühl zu Hause zu sein. Die Jungen hingegen kennen es nicht anders. Wir lieben diese „Elternvariante“, den rosabackigen, dicken Santa-Mann, den Zimtduft, und damit es nicht zu deutsch wird, hängen wir aus Spaß vielleicht sogar ein Jesusbild auf, aber möglichst grell und groß, wie von Andy Warhol. Und drehen die Musik knalllaut auf.

Mein letztes Weihnachten auf den Philippinen liegt zwei oder drei Leben zurück. Die Erinnerungen daran sind verblasst, aber die Primärfarben konnten sich halten. Später vermischten sich diese Erinnerungen mit den deutschen Erfahrungen. Ich träumte von dicken braunhäutigen Männern in roten Kostümen, die an Tannenbäumen und Königspalmen vorbeischritten. Es gab auch riesige, schillernd schimmernde Bambussterne, die neben Glühweinbuden aufgestellt waren und die verdächtig nach dem Nürnberger Christkindlmarkt aussahen.