Das Fest der Teufel mit dem roten Haar

Was ist der Unterschied zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann? Mein Sohn kam auf eine Idee
von YINGCHUN GONG, China

In Peking feiert man keine Weihnachten – jedenfalls tat man es nicht, bevor die Segnungen der freien Marktwirtschaft in die Volksrepublik China kamen. Als ich dort zur Zeit der Kulturrevolution zur Schule ging, war Weihnachten ein Symbol der dekadenten westlichen Kultur. Zwar wurden die Europäer nicht mehr, wie es meiner Großmutter als Kind noch eingeschärft wurde, als „behaarte Teufel mit grünen Augen und rotem Schopf“ beschrieben. Aber meine Lehrerin erzählte uns Grundschülern doch warnend Andersens Märchen vom Mädchen mit den Zündhölzern. Dabei sagte sie: „Kinder, nun wisst ihr, wie gut ihr es habt in unserem sozialistischen Land. Ihr habt genug zu essen, warme Wohnungen, eure Eltern bauen das Land mit auf, und ihr könnt in die Schule gehen, während die Kinder in den westlichen kapitalistischen Ländern ausgebeutet werden und einige sogar in der Weihnachtsnacht erfrieren müssen wie dieses arme Mädchen . . .“

Noch oft hatte ich dieses Bild vor Augen. Bis ich vor zehn Jahren als Studentin nach Deutschland kam. Mittlerweile genieße ich Weihnachten, den Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, das Weihnachtsbaumschlagen im Wald und die feierliche Stimmung in der Kirche. Und viele Dinge erinnern mich sehr an das chinesische Frühlingsfest: das ausgiebige Essen im Familienkreis und die Geschenke (die bestehen in China meist aus roten Beutelchen, gefüllt mit Geldscheinen oder Münzen für die Kinder) und die Verwandtenbesuche am ersten und zweiten Feiertag. Der Gänsebraten kann zwar an eine köstlich knusprige Pekingente nicht heranreichen, hat aber – wie ich erleichtert feststellte – doch deutlich mehr Geschmack als der englische oder amerikanische turkey samt seiner stuffings.

Nun feiert man beim chinesischen Frühlingsfest den Beginn des neuen Jahres nach dem Mondkalender (übrigens bin ich am Frühlingsfest geboren, deshalb nannten mich meine Eltern Yingchun, was so viel heißt wie „den Frühling willkommen heißen“ oder auch „Winterjasmin“). Und das neue Mondjahr feiern wir mit Feuerwerk. Bekanntlich haben wir in China das ja erfunden. Und so gesehen ist das chinesische Frühlingsfest Weihnachten und Silvester in einem. Dafür haben die Deutschen offenbar den Weihnachtsmann gleich verdoppelt. Zumindest hat mir noch niemand den Unterschied zwischen dem Nikolaus und dem Weihnachtsmann erklären können.

Meine beiden Söhne, sie sind acht und sechs Jahre alt, haben allerdings einen wichtigen Unterschied feststellen können: Am Abend des 5. Dezember hatten sie ihre Stiefel geputzt und vor die Tür gestellt. Weil sie aber ansonsten in letzter Zeit gar nicht so brav waren, fanden sie am nächsten Morgen eine kleine Rute, die aus dem Stiefel ragte. Darunter dann, zu ihrer großen Erleichterung Süßigkeiten, Geschenke und einen Brief vom Nikolaus. Den Textbaustein für das Schreiben vom Nikolaus hatte ich mir in der Nacht zuvor nach langem Suchen aus dem Internet gezogen.

Kai, der Ältere, las den langen Brief seinem Bruder Richie vor und sagte nachdenklich zu mir: „Den Brief hat wirklich der Nikolaus geschrieben.“ „Mama“, fuhr er fort, „dein Deutsch ist zwar okay, aber so gut schreibst du nicht!“ Da ihr Vater auf Dienstreise war, überlegte Kai weiter: „Ich weiß nicht, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt. Aber der Nikolaus ist eindeutig echt!“ Die Deutschen sind schon ein eigentümliches Volk. So wie sie einmal im Jahr im Karneval ihre Hemmungen über Bord werfen, so wünschen sie auch nur „alle Jahre wieder“ ihren Nachbarn alles Gute. Aber schön ist es trotzdem. Vor allem die Leuchtreklamen und Kerzen sind ein wahrer Lichtblick im nasskalten deutschen Dezember. In Peking scheint zu Weihnachten die Sonne.

Die Informatikerin Yingchun Gong, 34, kommt aus Peking und lebt mit ihrer Familie seit zwei Jahren in Berlin