Schafe und anatolische Tannen

Ein leeres Grundstück in Ankara oder Ein Halleluja auf das Zuckerfest für alle
von CEM SEY, Türkei

Eine Erinnerung geht mir nicht aus dem Kopf, wenn ich an Weihnachten in der Türkei denke. Es muss vor ungefähr dreißig Jahren gewesen sein, als das muslimische Opferfest fast auf das christliche Weihnachten fiel. Bei eisiger Kälte verkaufte ein bärtiger mittelanatolischer Bauer auf einem unbebauten Grundstück in Ankara seine mitgebrachte Ware: Schafe für das Opferfest und Tannen für Weihnachten. Die Schafe wanderten zwischen den Tannen hin und her, ohne zu ahnen, dass dies der Anfang ihres Endes war. Die Bäume waren ja schon tot. Friedlich existierte auf diesem merkwürdigen Markt die eine Religion neben der anderen. Sie nahmen sich nicht einmal besonders wahr. Vor zwanzig Jahren hat sich für mich von Grund auf alles verändert.

Ich kam nach Deutschland und begriff zum ersten Mal, dass Weihnachten nicht nur Folklore war. Die Halleluja-Atmosphäre, die ich nur von amerikanischen Spielfilmen kannte, überraschte mich. Und schade, dass ich nicht schon in der Türkei von der Tradition mit der Schokolade und den Schuhen gewusst hatte. Ich hätte meine Mutter nämlich genötigt mitzumachen. Schnell begriff ich, dass dieses Fest für meine neuen Freunde in Berlin eine andere Bedeutung hatte. Die meisten beugten sich einfach der Tradition. Einige wenige dachten, sie müssten unbedingt kritisch sein. Ihr Argument war der Konsumrausch. Ich konnte mich für keine Seite entscheiden.

Daraus entstand, wie ich nach Jahren feststelle, fast ein Studium in langem Nachdenken über das Phänomen Weihnachten. Wie die meisten anderen türkischen Migranten jedes Jahr in die Türkei zu reisen erschien mir zu ignorant. Den Kritikern habe ich mich zwar näher gefühlt, doch die schönen Erinnerungen aus meiner Kindheit – meine österreichische Mutter hatte immer einen Weihnachtsbaum geschmückt – zwangen mich eher dazu, den Traditionalisten zu folgen. Aber auch das war schwierig.

Ich habe hier keine Familie, und meine Freunde und ihre Familien sind in dieser Zeit mit sich selbst beschäftigt. Die Weihnachtstage sind für mich die einsamsten Tage. Aber ich genieße die Ruhe. Selbstverständlich könnte ich mich ein Paar Tage auf meine türkischen Freunde beschränken. Doch wenn ich Weihnachten ausschließlich unter Türken verbringe, werde ich das Gefühl nicht los, dass ich mich just in der Zeit, in der die Deutschen mal sentimental werden, von ihnen isoliere. Ich bleibe also allein.

In diesen zwanzig Jahren fand ich auch heraus, dass die Weihnachtszeit für Migranten mit schwarzen Haaren kleine, aber wichtige Vorteile bringt. Die nehme ich gerne in Anspruch. Vor allem gutwillige Omas werden dabei meine Opfer. Mit ein bisschen Geschick, einem netten Lächeln und einem „Frohe Weihnachten“ lassen sich viele Türen öffnen. Was will man mehr? – Vielleicht die Weihnachts-, Zucker- und Opferfeste zu gemeinsamen Feierlichkeiten weiterentwickeln?

Das wäre wahrscheinlich nur für ungläubige Mischlinge wie mich ideal. Solange dies noch nicht passiert, wird mich Weihnachten in Berlin immer an die Schafe und Tannen in Ankara erinnern.

Cem Sey, 39 Jahre alt, lebt seit 1982 in Berlin. Er ist freier Journalist.