„Frauen werden zu Waffen“

Die afghanische Frauenorganisation Rawa wird weiter von Fundamentalisten bedroht
Interview UTE SCHEUB

Shahla heißt nicht wirklich so. Ihren richtigen Namen nennt sie nicht, und fotografieren lässt sie sich auch nicht - aus Sicherheitsgründen. Denn ihre in Pakistan ansässige Organisation, die antifundamentalistische „Revolutionäre Assoziation afghanischer Frauen“ (Rawa), wird nach wie vor von Fundamentalisten bedroht. Shahla ist 27 Jahre alt, geboren wurde sie in Kabul. Während des sowjetischen Invasionskrieges wurden alle männlichen Mitglieder ihrer Familie getötet. Mit ihrer Mutter und ihren vier Schwestern floh Shahla in die pakistanische Grenzstadt Quetta. Dort besuchte sie eine von Rawa geleitete Schule. Wohl auch deshalb hat sie sich entschlossen, für die Organisation zu arbeiten, derzeit im Kulturkomitee.

taz: Rawa formuliert immer wieder großes Misstrauen gegen die Nordallianz. Warum?

Shahla: Die Nordallianz hat vor den Taliban Afghanistan beherrscht, ihre Kämpfer haben sich damals genauso übel aufgeführt wie später die Taliban. Auch die Nordallianz hat ihren Soldaten beigebracht, Orte zu plündern und die Frauen dort zu entführen.

Was passierte mit diesen Frauen?

Die meisten wurden vergewaltigt oder mit Soldaten zwangsverheiratet. Viele dieser jungen Afghaninnen begingen später Selbstmord, weil sie ihre Vergewaltigung als Schande empfanden. Viele wurden auch nach Pakistan, Iran oder andere arabische Länder verkauft. Ihnen blieb oft keine andere Möglichkeit zu überleben als Prostitution. Das ist in allen Ländern so, die Krieg führen, sie benutzen Frauen als Waffe im Krieg. Selbst in ihren eigenen Familien erfahren diese Mädchen und Frauen oft keine Unterstützung.

Unter welchen Bedingungen arbeitet Rawa?

Wir haben viele Sicherheitsprobleme. Einige Projekte laufen nicht unter dem Namen von Rawa, sondern unter privatem Namen, zum Beispiel Schulen. Auch unsere Konten laufen unter Privatnamen.

Wie verhalten sich die pakistanischen Behörden gegenüber Rawa?

In vielen Fällen verbieten sie uns, etwas im Namen von Rawa zu unternehmen. Neulich wollten wir eine Pressekonferenz organisieren. Sie erlaubten es uns nicht, angeblich weil sie um unsere Sicherheit besorgt waren. Aber uns besuchte gerade eine Delegation des Europäischen Parlaments. Also haben wir in ihrem Namen eine Pressekonferenz angemeldet - das wurde sofort erlaubt. Und zur Eröffnung dieser Konferenz sprach Rawa.

Werden Sie bedroht?

Man versucht immer wieder, uns zu verunsichern: Zum Beispiel erscheinen in den Zeitungen Ankündigungen von Taliban-Mitgliedern, jede Rawa-Frau umbringen zu wollen, die sie finden.

Arbeitet Rawa auch mit Männern zusammen?

Ja, und das sind gar nicht so wenige. Sie können natürlich nicht Mitglied werden, aber sie unterstützen uns. In Afghanistan und Pakistan können wir uns ohne männliche Begleitung nicht sicher in der Öffentlichkeit bewegen.

Gibt es auch fundamentalistische Gegnerinnen von Rawa?

Natürlich. Es gibt einige Frauen, die in den Chor einstimmen, wenn unsere Feinde uns als Linke, Rechte, vom Westen Gekaufte und Prostituierte beschimpfen.

Prostituierte?

Ja. In Peschawar sind die Fundamentalisten besonders stark. Dennoch hat es Rawa vor fünf Jahren gewagt, dort erstmals offen gegen sie zu demonstrieren. Am Ende dieser Demonstration attackierten uns die Fundamentalisten. Alle Zeitungen schrieben, dass Rawa die Demo organisiert habe, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren - in ihrem Verständnis ist das eine Schande für Frauen. Und dass wir unsere Arme gereckt und dabei ein bisschen Haut entblößt hatten, beweise, dass die Frauen von Rawa in Kontakt mit männlichen Polizisten kommen wollten.

Frauen in der Öffentlichkeit sind öffentliche Frauen, sind Huren - offenbar eine Gleichung, die in allen Ländern dieser Welt galt oder gilt.

Das stimmt wohl. Ein anderes Beispiel: Wir haben auf unserer Website ein Interview mit einer Prostituierten aus Peschawar veröffentlicht. Das war für die Fundamentalisten der Beweis, dass wir selbst Prostituierte sind. Oder: Es gibt pakistanische Polizisten, die Rawa-Frauen in eindeutiger Weise vor Dienstbeginn in ihre Büros einladen. Immer wieder gibt es diese Entwürdigungen.