Editorial

von BASCHA MIKA

„Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind“, verkündet der Engel im Weihnachtsevangelium. Ein frommer Wunsch – denn es herrscht Krieg. In Afghanistan und anderswo. Krieg gegen den Terror, Krieg um Land und Ressourcen, Krieg aus ideologischen, ökonomischen oder machtpolitischen Interessen.

Nichts ist verlogener als die Behauptung, niemand wolle Krieg. Wenn es Krieg gibt, ist er gewollt. Längst nicht von allen, doch eine effiziente Kriegsökonomie ist ohne ein hohes Maß an Freiwilligkeit nicht möglich.

Vor dem 11. September hätte wohl jeder geschworen, daß es in Deutschland nahezu unmöglich sei, die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Logik des Krieges herzustellen. Ein Irrglauben. Obwohl uns das Kosovo geografisch viel näher liegt, hat uns die Gegenwart des Krieges durch New York und Afghanistan erst richtig erreicht.

Dafür dann so gründlich, dass sich zwischenzeitlich jeder Fernsehzuschauer und Zeitungsleser als Militärexperte wähnte, daß sich das Alltagsgespräch wie selbstverständlich um die Frage drehte, welche Truppe wie und mit welchem Ziel militärisch zuschlagen sollte. Wer von uns hat sich gleichzeitig klargemacht, daß Krieg die Weltordnung von Menschen binnen Sekunden zerstören kann?

Nach nur drei Monaten ist uns das Denken in Gewaltkategorien so vertraut, daß uns Krieg einmal mehr erscheint wie eine prinzipielle Struktur der Realität, eine Gesetzmäßigkeit oder anthropologische Konstante. Die Aufgabe besteht dann nur noch darin, sauber die Kriegsziele zu definieren, möglichst wenig Kollateralschäden zu verursachen und ein freundliches Nachkriegsszenario zu entwerfen.

Demgegenüber steht das Denken vom Krieg als Erkrankung oder, wie Carl Friedrich von Weizsäcker es sagte, der „Friedlosigkeit als seelischer Krankheit“, einer Immunschwäche der Gesellschaft, die einer Kultur des Friedens bedarf, um eine aufgeklärte Alternative zur Gewalt zu entwickeln.

Ist Krieg eine Frage des Geschlechts? Es gibt tatsächlich die Ansicht, dass es ohne Männer auch keinen Krieg gäbe. Diese Testosteronhypothese (Cora Stephan), die vom Krieg auf die männliche Triebnatur schließt, führt allerdings nicht weiter. Und sie ignoriert die mehr als zwanzigjährige Diskussion über die Komplizen- und Mittäterschaft von Frauen, die Männer stellvertretend die gewalttätige Drecksarbeit machen lassen.

Nichtsdestoweniger ist Kriegführen nach wie vor eine männliche Angelegenheit. Männer sind – trotz aller weiblichen Bereitschaft zu Aggression und Gewalt – die aktiv Handelnden im Kriegsspiel. Dabei kommen in unseren modernen Kriegen auf einen toten Soldaten zehn tote Zivilisten. Und die sind in der Regel Frauen und Kinder.

Darüber hinaus ist bemerkenswert: In Krisen- und Kriegszeiten verschwinden Frauen zunehmend aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der öffentlichen Debatte. Das ist bei den einschlägigen Talkshows, den Leitartiklern der Zeitungen und nicht zuletzt bei Schröders so genanntem Kriegskabinett, dem keine Frau angehört, zu beobachten.

Doch trotz der männlichen Definitionsmacht darüber, was und wann Krieg ist, sind es weibliche Stimmen, die – wie Arundhati Roy oder Susan Sonntag – Eckpunkte des internationalen Diskurses der letzten Monate markierten. Auch die taz lässt Autorinnen zu Wort kommen, die sich literarisch, analytisch oder auf der Erfahrungsebene mit Krieg auseinandersetzen.

Zugegeben, wer zu Weihnachten einmal Abstand von der brutalen Gegenwart gewinnen will, für den könnte das Hauptthema dieser Ausgabe eine Zumutung sein. Doch wir müssen uns mit Krieg beschäftigen – wenn Weihnachten ein Fest des Friedens sein soll.