Kartoffelsalat à l‘orange

Was für ein leckeres Festessen mit den Weihnachtsnichten alles benötigt wird

Am 24. kamen die Nichten nacheinander eingetrudelt. Mit den Enten war ich praktisch allein

„Zu Weihnachten“, hatte ich im vergangenen Jahr der Familie verkündet, „gibt es Würstchen mit Kartoffelsalat.“ Das mussten die Nichten erst mal verdauen, aber am nächsten Tag riefen sie an: „Da ist Rindfleisch drin!“ – „Schweinefleischwürstchen!“, erwiderte ich. Ein langes Lamento setzte ein, da sei wahrscheinlich doch Rindfleisch drin und sogar von den Knochen abgeschabtes. „Wie wär‘s denn mit Meeresfrüchten?“, schlug ich vor. „Igitt – aber nichts mit Antennen!“ Endlich hatten sie mich weich gekocht. „Und? Was möchtet ihr essen?“ Wie aus der Pistole geschossen hieß es: „Ente à l‘orange. Das machen wir dann schon.“ Da wusste ich bereits, was auf mich zukam.

Eine Woche vor Weihnachten kriegt man in ganz Hamburg keinen Bräter mehr. Also erhielt die älteste Nichte den Auftrag, einen mitzubringen, der vermutlich vom vergangenen Jahr noch jede Menge Gänsereste enthielt. Was dann auch stimmte.

Im Lidl, wo ich die Orangen einkaufte, steht vor mir in der Schlange eine 14-Jährige, neben ihr die Mutter mit steinharter Dauerwelle. Das Mädchen zückt ihr Handy und murmelt hinein: „Du glaubst nicht, wo ich bin – shoppen mit Mum.“ Shoppen! Mit Mum! Bei Lidl! Das musste jetzt ich erst mal verdauen. Allerdings bin ich schon oft beeindruckt worden, aber schließlich immer wieder drüber weggekommen. Wie im vorletzten Jahr, als kurz vor Weihnachten die Schwiegergroßmutter hochbetagt starb. Die Erbinnen waren zwei Nichten über siebzig, die das Haus sowie das Kaffeegeschirr der Verblichenen erhielten. Als sie das Geschirr in Augenschein nahmen und feststellten, das es sich um dasselbe handelte, von dem sie in ihrer Jugend mit Grausen gegessen hatten, stellten sie sich an die Kellertür und warfen mit Schmackes einen Teller nach dem anderen die Kellertreppe runter. Zum Schluss die Kaffeekanne. Darin waren 4.000 Mark. Man stelle sich vor, die hätten es nach Afghanistan geschickt oder auch nur zweieinhalb Jahre später reingeguckt! Für das Geld haben sie sich dann ein meines Erachtens genauso scheußliches Geschirr gekauft.

Am 24. kamen sie nacheinander eingetrudelt. Die mittlere Nichte musste dringend die Examensarbeit einer Freundin auf orthografische Fehler nachgucken – den Bock zum Gärtner machen, nenne ich so was; die älteste kam zu spät, weil sie zunächst mal die Tannenbaumkerzen vergessen hatte – alle Augenblicke kam ich zum Nachsehen, ob sie den probehalber angezündeten Tannenbaum nicht auch wirklich angezündet hatten, und die jüngste kam sehr früh, weil sie bei mir oben im Haus wohnt, sich einen Fön auslieh und danach sehr spät kam. Mit den Enten war ich praktisch allein.

Die jüngste Nichte hatte sich einen Pullover gewünscht: „Der kostet 230 Mark, die Hälfte kann ich selbst bezahlen, dann kostet er noch 125 Mark!“ Das hätte ich zur Not auch selbst ausrechnen können. Der Großneffe wünschte sich ein Schwert, das leuchtet und Gebrüll ausstößt. Das wünschten sich die Kids anscheinend alle, neben einem Roller für 150 Mark. Den Ausdruck Kids finde ich übrigens scheiße. Ich kenne nur Rehkids, und die sollte man ein, zwei Jahre am Leben lassen und dann mit Preiselbeeren, Schwammerlsoße und Semmelknödeln servieren. Aber es gab ja Ente.

Es ist ungeheuerlich, was man alles dazu braucht: Weißwein, Likör, Hühnerbouillon, den Saft von unbehandelten und behandelten (!) Orangen respektive Zitronen und mehrere Gläschen Portwein. Diese allerdings zur seelischen Stärkung der Köchin. Auf diese Art überstand ich dann die Kocherei, konnte mich aber an den Rest des Abends überhaupt nicht mehr erinnern, was vermutlich auch besser war.

FANNY MÜLLER