Auf dem Adrenalin-Teppich

Schreiben über das Schwindelgefühl, dass „das da“ wirklich stattfindet: Kathrin Rögglas Texte über die Anschläge in New York finden sich in dem Buch „really ground zero. 11. september und folgendes“

von DIRK KNIPPHALS

Ist vielleicht gar nicht schlecht, die Vorgeschichte dieses Buches zu schildern, so wie sie sich aus der Perspektive dieses taz-Schreibtisches dargestellt hat. Sie beginnt am 12. September.

Natürlich hatte es bereits am Tag des Anschlags und in der darauffolgenden Nacht – wie weltweit wohl in unzähligen Zeitungsredaktionen – viele Telefonate und Besprechungen gegeben. Am Morgen, der auf den 11. September folgte, schickte die Kulturredaktion dann eine Rundmail an Dutzende von Autoren, Mitarbeitern und Bekannten. Die ersten beiden Sätze: „Aus Anlass der Ereignisse in New York und Washington wird die taz morgen ihre normale Zeitungsstruktur aufgeben und so gut wie ausschließlich über den Anschlag und seine Hintergründe berichten. Ideen, Anregungen, Thesen, Kontakte, Einfälle sind sehr willkommen.“ Einfache Sätze. Aber wenn ich mir diese Mail in der elektronischen Ablage heute anschaue, sind Aufregung und die Bedrängtheit dieser Tage gleich wieder da.

Es gab viele Antworten. Unter den ersten fand sich der Hinweis der Literaturkritikerin und Mitarbeiterin des Deutschen Literaturfonds, Frauke Meyer-Gosau, dass sich Kathrin Röggla gerade als Literaturfonds-Stipendiatin in Manhattan aufhalte, Mailadresse anbei. Die Berlin-Kultur-Redakteurin der taz, Susanne Messmer, hatte schon einmal mit Kathrin Röggla zu tun und schickte sofort eine Mail los. Die Reaktion kam prompt: Sie könne ja mal versuchen, einen Text über die Ereignisse zu schreiben, aber garantieren wolle sie nichts . . . So in etwa der Tenor.

Der Text war dann am kommenden Morgen auf dem Mailaccount – „Thu, 13 Sep 2001 06:48:51 +0200 (MEST)“ steht in der Protokollleiste. Aus dem Begleitbrief muss man unbedingt zitieren, weil er das Flirrende, das in der Schreibsituation geherrscht haben muss, gut einfängt: „anbei mein text, es ist der erste text, den ich, ohne schmäh, mit sauerstoffmaske geschrieben habe . . . ich habe eine nacht schon nicht geschlafen und jetzt ist wohl die zweite dran (in der houston street, neben meiner wohnung ist jetzt das aufmarschgebiet der rescues: polizei, trucks, emergencies etc. man kriegt echt paranoia). na gut, ich hör schon auf, arme taz-menschen zu belabern . . .“ Vielleicht hätte man dies Anschreiben in einem Kasten mitveröffentlichen sollen; es passt gut ins Spiel, das Rögglas Texte aufmachen werden: die Wirklichkeitsbeschreibung mit der Zustandsbeschreibung der Beschreibenden zu verquirlen.

Als Attachment an die Mail angehängt fand sich Kathrin Rögglas erster Bericht aus Manhattan. Er macht nun auch den Auftakt in Kathrin Rögglas gerade in diesen Tagen erschienenem Buch „really ground zero. 11. september und folgendes“ (Fischer Verlag, 112 Seiten, 7 €/13,69 DM). Der Band enthält zudem die weiteren fünf Texte, die Kathrin Röggla in den folgenden Wochen noch an die taz schickte, einige weitere Texte für den Tagesspiegel und den Wiener falter sowie viele Fotos, die die Autorin in New York gemacht hat. Auf dem Cover sieht man das World Trade Center noch rauchen, an einer Häuserwand verspricht eine große Werbetafel: „This won’t hurt a bit“. Auf der Rückseite ist dieselbe Perspektive abgebildet. Nur fehlt jetzt das WTC. Das ist das erste, das äußere Spannungsfeld, in dem die Texte stehen.

Von dem zweiten, dem textinternen Spannungsfeld schreibt Kathrin Röggla am Schluss des Buches. In einer Art Selbstinterview spricht sie da von dem „versuch, aus diesem haufen an ideologemen, aufgebrochenem vokabular, kontextverschiebungen, rhetorischen operationen, schrägen übersetzungen, einen überblick zu bekommen“ – und setzt ein Fragezeichen dahinter. Auch der folgende Satz bekommt ein Fragezeichen: „also vom haufen der authentizität zum haufen der begriffsverschiebungen?“ Dann folgt in dem Selbstinterview ein Sprung: „das ist das spannungsfeld der schreibenden. was kann man anders, als darin herumzudümpeln.“ Hier fehlt das Fragezeichen. Obwohl das Wort „herumdümpeln“ ein zu starkes Understatement ist, um wirklich die Art und Weise zu beschreiben, wie Kathrin Röggla auf den Anschlag und die Folgen mit Textproduktion geantwortet hat. Ein furioseres Tätigkeitswort wäre passender. Andererseits hat schon das Resümee in Form eines Selbstinterviews etwas Selbstironisches.

Es hat aber wirklich etwas Verblüffendes, sich die ersten beiden Abschnitte in dem Buch auf dem Hintergrund dieser Vorgeschichte noch einmal anzugucken. Im Wesentlichen sind sie identisch mit dem Text, den Kathrin Röggla keine zwei Tage nach dem Anschlag durch die digitalen Kanäle geschickt hatte (für die Druckfassung in der taz vom 14. September waren dann ein paar Kürzungen nötig gewesen). Wie schnell Kathrin Röggla auf diese überzeugenden Wortfindungen gekommen ist; sie müssen sich parallel zum Geschehen eingestellt haben. Alles ist schon da. „really ground zero“, diese schlagende Überschrift, war schon der Titel der am 13. September mitteleuropäischer Zeit – in den USA war es da noch die Nacht vom 12. September – angehängten Datei gewesen. Kathrin Röggla hatte ihre Computerdatei, in die sie schrieb, offensichtlich von Anfang an so benannt. Auch dieser erste Satz – ein Satz mit Widerhaken – war schon da gewesen: „jetzt also hab ich ein leben, ein wirkliches.“ Sowie alles, was dieses Schreiben von journalistischen Formen des Augenzeugenberichts oder der Reportage abhebt – ohne dass man es gleich in der literarischen Kunstecke abstellen sollte.

Es gibt sehr gute deutsche Reporter in Manhattan. Es hat in vielen deutschen Zeitungen und Zeitschriften sehr viele Reportagen aus Manhattan gegeben. Die allermeisten von ihnen lesen sich schon heute wie historische Dokumente. Nicht so Kathrin Röggla. Ihre Texte haben die gleichsam weit aufgerissenen Augen und dieses Schwindelgefühl, „dass ,das da‘ wirklich stattfindet“, aufbewahrt. Als österreichische – und in Berlin lebende – Schriftstellerin zu diesem Zeitpunkt in New York zu sein, „auf diesem riesigen adrenalin-teppich“ – wie sich das anfühlte, das steht da immer noch drin. Diese Texte tragen über den unmittelbar vom Anschlag abgesteckten Rahmen hinaus.

Natürlich handelt es sich hier um einen Glücksfall des Genres. Kathrin Röggla war vor Ort, hatte Kamera und Laptop dabei und war zu diesem Zeitpunkt als Schreiberin gut in Form. Dass die Texte so glückten, hat aber auch etwas mit dem Schreibansatz von Kathrin Röggla zu tun. Das Geschehen, das, wie sie schreibt, „zu groß“ ist, übersetzt sie in viele einzelne, genau beobachtete Szenen. Inmitten des Ausnahmezustands registriert sie, was man in einer solchen Situation wahrnimmt: Sprüche, gehetzte Gespräche, Menschen, die nach ihren Handys greifen, Fernsehbilder. Das sind hier keine bunten Elemente, um einen Bericht authentischer wirken zu lassen. Gerade die Einzelheiten sind das, worum es in diesen Texten zentral geht: Fragmente einer Wirklichkeit, die sich nach den Anschlägen fundamental ihrer selbst neu versichern musste.

Dieser Selbstvergewisserung hat sich Kathrin Röggla auf die Spur gesetzt.