Ein neuer Präsident auf Zeit

Der Provinzfürst und Peronist Rodrígez Saá übernimmt die Staatsgeschäfte Argentiniens – bis Mitte April. Als ersten Schritt kündigte er die Aussetzung der Schuldendienstzahlungen des Landes an

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Argentinien hat einen neuen Staatschef. Gestern Morgen wählte die Generalversammlung aus Kongress und Senat den Gouverneur der Provinz San Luis, Rodrígez Saá, zum neuen Präsidenten. Saá wird die Amtsgeschäfte bis zum 15. April 2001 leiten, für den 3. März sind Neuwahlen ausgerufen. Damit ist Saá der dritte argentinische Präsident in drei Tagen. Am Donnerstag war Fernando de la Rúa nach tagelangen Plünderungen und schweren Straßenschlachten zurückgetreten. Ihm folgte Ramón Puerta, der als Senatspräsident die Amtsgeschäfte für 48 Stunden übernahm und die Generalversammlung einberief, die Saá zum Präsidenten machte.

Saá ist ein politischer Überflieger. Seit 1983 regiert er in seiner Provinz San Luis als Gouverneur, nie hat er dort eine Wahl verloren. Der 54-Jährige ist ein Machtmensch mit einem Schuss Populismus. San Luis zählt gerade einmal 350.000 Einwohner und ist dabei etwas größer als Bayern. Saá hat die traditionelle Agrar- und Bergbauwirtschaft der Provinz teilindustrialisiert. Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar flossen in die Provinz. Dadurch kann Saá einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen. In seiner Amtszeit hat er 30.000 Sozialwohnungen bauen lassen und seine Provinz weit gehend mit fließendem Wasser versorgt. Die Arbeitslosenrate zählt zu den niedrigsten im Land.

Aber Saá hat auch seine dunkle Seite. Ein Oppositionsabgeordneter beschuldigte ihn im vergangenen Jahr über ein persönliches Vermögen in Höhe von 22 Milliarden Dollar und über zahlreiche wertvolle Immobilien zu verfügen. Es stellt sich die Frage, wie Saá bei seinem Gouverneursgehalt in nur 18 Jahren so viel Reichtümer anhäufen konnte. Mit seinem Bruder ist Saá der Medienmogul von San Luis. Die einzige Provinztageszeitung, mehrere Fernsehsender und zahlreiche Radiostationen werden von den beiden kontrolliert.

Nach seiner Wahl zum Präsidenten kündige Saá ein Sozialprogramm an und versprach die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Argentinien steckt seit 1998 in einer schweren Rezession und ist mit 155 Milliarden Dollar verschuldet. Der Schuldendienst hat den Wiederaufbau der Wirtschaft blockiert. Saá kündigte gestern die Aussetzung der Schuldendienstzahlungen an. Jedoch will er an der 1:1-Parität zwischen argentinischem Peso und US-Dollar festhalten. Auch kündigte er an, Gehälter mit Staatsanleihen zu bezahlen, was der Schaffung einer dritte Währung gleichkommt. Diese kann an Wert zum Dollar verlieren, da sie durch nichts gedeckt ist.

Saás Wirtschaftsprogramm unterscheidet sich kaum von dem seines Vorgängers. Dabei war es die Wirtschaftspolitik de la Rúas, die den Zorn der Bevölkerung geschürt hat. Héctor di Genaro, Generalsekretär des linken Gewerkschaftsdachverbands CTA und Mitbegründer der Nationalen Front gegen die Armut befürchtet das Schlimmste: „Es wird gesagt, der Präsident muss durch Wahlen legitimiert werden, weil schwere Zeiten bevorstehen. Für wen stehen die schweren Zeiten bevor: für die starken Gruppen des Finanzkapitals oder für das Volk?“ Da er die Antwort schon kennt, forderte di Genero die Einführung einer Arbeitslosenversicherung.

De la Rúas Rücktritt war ein Glücksfall für die Peronisten, traf sie aber unvorbereitet. Die Partei zerfleischte sich in den vergangenen zwei Jahren auf der Oppositionsbank und kommt jetzt dank ihrer parlamentarischen Mehrheit durch die Hintertür an die Macht zurück. Ihr Problem bei den Wahlen: Sie hat keinen Kandidaten. Jeder peronistische Gouverneur will kandidieren.

Daher versuchen es die Peronisten mit einen Trick, den die Verfassung zulässt: Im März wird ein eigenwilliges Wahlverfahren angewandt. Jede Partei darf mehrere Präsidentenkandidaten präsentieren. Die Partei, der es auf diese Weise gelingt, die meisten Stimmen zu sammeln, stellt den Präsidenten. Dem erfolgreichsten Kandidaten einer Partei werden auch die Stimmen seiner parteiinternen Konkurrenten hinzugezählt. So kann ein Kandidat Präsident werden, obwohl er weniger Stimmen bekommen hat als der einer anderen Partei. Die Peronisten können mit ihren Kandidaten das gesamte politische Spektrum abdecken. Sie ersparen sich einen Parteitag, bei dem sie befürchten müssten, dass einige ihrer Mitglieder mit Fäusten aufeinander losgehen.