Der homosexuelle Mann . . .

. . . macht sich so seine Gedanken, wenn er auf das Jahr 2001 zurückblickt

Der homosexuelle Mann muss eine Glücksfee gehabt haben in dem Jahr, das gerade zu Ende geht. Wahrscheinlich war es Judy Garland, die vollgekokst und sturzbetrunken von hoch droben dafür gesorgt hat, dass ihre treuesten Verehrer heuer so viele positive Schlagzeilen bekommen haben wie nie. Dabei hält es der Schwule für gewöhnlich mit den Skandalnudeln, denen es eigentlich egal ist, ob die Schlagzeile positiv ausfällt oder negativ. Hauptsache der Name stimmt – und die Aufmerksamkeit kommt von der Gegenseite, Lob oder Tadel aus den eigenen Reihen sind so uninteressant wie ein abgelegter Liebhaber bei der Zigarette danach.

Doch 2001 – Chapeau! – nur gute Presse. Alles wurde überstrahlt von der Homoehe. Allein der Begriff! Platz 7 bei der Wahl zum Wort des Jahres der Gesellschaft für deutsche Sprache

(GfdS), noch vor „Luderliga“ und „Riester-Rente“. Eine ganze Gesellschaft geriet in Verzücken ob der neuen Maßregel, und mit Tröten und Fanfaren posaunte Rot-Grün das Ende einer Diskriminierung heraus, lachte sich heimlich ins Fäustchen dabei, denn so schnell und so billig gab es sonst keine Pluspunkte fürs gemeinsame Regieren. Dazu wurde jedes verfügbare Meinungsforschungsinstitut in alle Haushalte entsandt um nachzuhaken: Dafür oder dagegen? Mehrheit über Mehrheit kam zu Stande, getraute Gleichgeschlechtliche wurden der Sommerhit. Nur die Homos hat keiner ernsthaft gefragt, ob sie eigentlich wollen oder nicht.

Mit dem Punktsieg der Homoehe ist auch Köln endgültig aufgerückt zur Hauptstadt der Homosexuellen. Die Berliner Subversion ist überholt und Rosa von Praunheim schon fast alt. Dafür gibt jetzt der Kölner Politiker Volker Beck den Ton vor, mit karnevalesker Unterstützung seiner Mitbürger Dirk Bach, Georg Uecker, Ralph Morgenstern und Alfred Biolek – all die öffentlich-rechtlichen TV-Unterhalter, die mit ihrer Prise Tuntenhumor genau das Maß erreicht haben, das niemandem wehtut, aber alle wohlig schmunzeln lässt. Die einstige schwulenbewegte Forderung nach einer positiven Medienrepräsentanz ist mit all diesen Klassenclowns erfüllt. Und die CSD-Parade geht bald auf im Rosenmontagszug.

So viel Spaß kann nur getoppt werden von einer Lichtgestalt: Klaus Wowereit! Optisch herausfordernd wie ein Sparkassenangestellter aus der Niederlausitz und ausgestattet mit dem Charisma eines Bahnhofsapothekers katapultierte sich der Mann aus Lichtenrade mit zwei Sätzen nach ganz oben. Was eine aufgebrachte Schwulengeneration mit den treffsichersten Parolen nicht geschafft hatte, gelang ihm wie nebenbei, plötzlich war es „gut so“. Alle nennen ihn fast zärtlich „Wowi“, und nichts wird ihm noch übel genommen. Er darf mit den Kommunisten kuscheln und mit Sabine Christiansen und knabbert in aller Öffentlichkeit an signalroten Damenschuhen – Homosexualität hat ihren Schrecken verloren. Der Dank: Wowereits kindisch-trotziges „Und das ist auch gut so“ schaffte es als ganzer Satz auf Platz 12 der GfdS-Liste. Jetzt lauert die Fotografenmeute nur noch darauf, dass der Regierende endlich praktisch wird und seinen Freund küsst. „Denn“, Berlins Society-Lady Isa Gräfin von Hardenberg hat ihr Urteil schon gefällt: „Der Freund sieht doch gut aus!“

Standesgemäß endet das Jahr mit einem dreiteiligen Blick in das wirkliche schwule Leben – hinter einer Bürgerfassade, literarisch durchgearbeitet und bedeutungsschwanger ohne Ende. Die TV-Geschichte der Familie Mann hat gleich ein paar Varianten der Variante zu bieten, homosexuelle Verstrickungen schwingen sich auf zum Kulturgut des deutschen Bildungsbürgers. Fragen, mit denen man noch in den Siebzigerjahren ein ganzes Germanistikstudium riskierte, werden mit dem gewogenen Blick auf Thomas und Klaus und Golo und Erika zum Allgemeinplatz im bundesdeutschen Feuilleton. Konnte Thomas deshalb so schön schreiben, weil er Zeit seines Lebens auf den Analverkehr verzichtete? Und wurde, weil er zu viel davon genoss, Klaus zum literarischen Stümper und musste schließlich sterben von eigener Hand? Für ihre Erörterungen bedienen sich Kritiker und Connaisseure in den muffigsten Schubladen der Küchenpsychologie, und der Spiegel lobt den Darsteller des Klaus Mann dafür, dass er „niemals tuntig“ wird im Spiel.

Was für ein Jahr! Judy Garland, wenn sie es denn war und das alles über uns ausgeschüttet hat mit leichter Hand, ganz wie Mielein und der Zauberer das Flittergold in die Mann’schen Kinderbetten während der Vorweihnachtszeit, dann muss ihr einiges daneben gegangen sein im soliden Vollrausch, gut gemeint und doch gründlich daneben.ELMAR KRAUSHAAR