Keine Spur von Konspiration


von RALF SOTSCHECK

Da zieht’s einem doch glatt die Schuhe aus! Wer aus Deutschland in die USA fliegen will, muss seit vorigem Wochenende neben dem Handgepäck auch die Schuhe durchleuchten lassen. Auch in den USA darf man nur noch barfuß durch den Metalldetektor gehen. Es ist ein Engländer, der für die verschärften Sicherheitsmaßnahmen gesorgt hat: Der 28-jährige Richard Reid, der sich auch Abdel Rahim nennt, hat am vergangenen Samstag versucht, ein Flugzeug der American Airlines auf dem Weg nach von Paris nach Miami mit Bomben in die Luft zu sprengen, die er in seinen Schuhen versteckt hatte.

Wie hat er den Sprengstoff in die Maschine geschmuggelt?

Der 1,93 Meter große Reid will eigentlich bereits am Freitag von Paris nach Miami fliegen, doch der privaten Sicherheitsfirma ICTS fällt der junge Mann auf. Reid hat ein Rückflugticket von Paris über Miami nach Antigua, doch er reist nur mit Handgepäck – ein Walkman, ein paar arabische Musikkassetten und einige Koranverse – und scheint sehr nervös. ICTS benachrichtigt die französische Polizei, die Reid am Flughafen verhört, bis er seine Maschine verpasst. American Airlines bringt ihn im Vier-Sterne-Hotel Copthorne unter, wo er weiter vernommen wird. Die Zündschnüre, die aus seinen Sportschuhen ragen, fallen den Beamten nicht auf. Da sein Pass in Ordnung ist und er auf keiner Fahndungsliste steht, darf er am nächsten Tag ins Flugzeug steigen. Die Metalldetektoren registrieren den Plastiksprengstoff nicht. Das hätte auf jedem Flughafen passieren können, sagt ein Sprecher des Pariser Flughafens.

Über dem Atlantik bemerken die Stewardessen Brandgeruch und ertappen Reid, wie er versucht, eine der Zündschnüre an seinem Schuh mit Streichhölzern anzuzünden. Mit Hilfe einiger Passagiere gelingt es, Reid zu überwältigen. Er wird an den Sitz gefesselt, zwei mitreisende Ärzte verabreichen ihm Beruhigungsmittel, und zwei US-Kampfflugzeuge geleiten Flug 63 nach Boston. Dort wird Reid am Heiligabend angeklagt. Auf die Frage, ob er „die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ sagen werde, reagiert Reid mit Schulterzucken. Vielleicht? Vielleicht auch nicht. Da er noch keinen Anwalt hat, vertagt sich das Gericht auf morgen. Im „Plymouth County House of Correction“, dem Gefängnis, wird er rund um die Uhr beobachtet, weil man ihn für selbstmordgefährdet hält.

Wer ist dieser Richard Reid?

Reid kommt im Sommer 1973 im Farnborough-Krankenhaus im Südostlondoner Stadtteil Bromley zur Welt. Seine Mutter Lesley ist Engländerin, sein Vater Colvin stammt aus Jamaica. Als Jugendlicher schlägt sich Reid mit Kleinkriminalität durch, klaut Handtaschen und kommt öfter ins Gefängnis. Dort konvertiert er offenbar zum Islam und legt sich den Namen Abdel Rahim zu. Die Zahl der Muslime, die in britischen Gefängnissen sitzen, hat sich seit 1993 verdoppelt, insgesamt sind es knapp 4.300. Wie viele Menschen im Gefängnis den Glauben wechseln, ist nicht bekannt. Eine Sprecherin der Gefängnisverwaltung sagt: „Wir können nicht verhindern, dass Leute konvertieren.“

Nach seiner Entlassung besucht Reid regelmäßig die Moschee in Brixton, die in einem Reihenhaus gegenüber des Polzeireviers untergebracht ist. Er belegt Arabischkurse und lernt die Sprache immerhin so gut, dass er seinen Brixtoner Glaubensgenossen von einem Auslandsaufenthalt Ansichtskarten in Arabisch schreiben kann. Die Moschee in Brixton ist untypisch. Das Durchschnittsalter der Gläubigen liegt bei 30, und anders als die meisten anderen Moscheen in Britannien treffen sich hier die unterschiedlichsten Nationalitäten. Sehr viele seien Konvertiten oder ehemalige Gefängnisinsassen, sagt Abdul Haqq Baker, der Vorsitzende der Moschee, der selbst vor zwölf Jahren zum Islam übergetreten ist.

Er predige einen orthodoxen Islam, sagt Baker, der Terrorismus scharf verurteile. Damit habe er sich bei den Extremisten unbeliebt gemacht, sagt er: „Sie hassen uns. Sie bezeichnen uns als Ungläubige und behaupten, unsere Frauen dürfen als Konkubinen missbraucht werden.“ Ein Sprecher für Abu Hamza, Imam der radikaleren Moschee im Nordlondoner Stadtteil Finsbury Park, sagte: „Die Brixton-Moschee lebt im Wolkenkuckucksheim. Deren Islam ist eine halbgare Religion, es ist ein Chichi-Islam. Es ist schon sehr komisch, dass der Schuhbomber ausgerechnet von deren Moschee kommen soll. Die wären die letzten, die solch eine Tat gutheißen würden. Die sind völlig weltfremd.“

Warum glaubt man, dass Reid Verbindungen zur al-Qaida hat?

Zacarias Moussaoui, ein Franzose mit marokkanischem Hintergrund, gehörte ebenfalls zu den Besuchern der Moschee in Brixton. Er ist in den USA im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11.September angeklagt. Angeblich handelt es sich bei ihm um den „20. Attentäter“, der nur deshalb nicht zum Einsatz kam, weil er wegen „auffälligen Verhaltens in einer Flugschule“ in Untersuchungshaft saß. Auch Moussaoui ist ein Konvertit, der von radikalen Muslimen rekrutiert worden sein soll, um Unruhe in die Moschee in Brixton zu bringen.

Moussaoui habe sich in den Monaten vor dem 11. September stark verändert, sagt Baker: „Er wurde so arrogant, dass es einen wütend machte. Er fragte uns ständig, ob es irgendwo einen heiligen Krieg gebe, in dem er kämpfen könnte. Er trug militärische Kleidung und einen Rucksack, was zeigte, dass er obdachlos war.“ Moussaoui habe versucht, gutgläubige Jugendliche von seinen radikalen Ansichten zu überzeugen, sagt Baker: „Wir haben versucht, ihn davon abzuhalten.“ Aber Terroristen lassen sich eben so leicht nichts verbieten.

Ein anderer Gast in der Brixton-Moschee war Shahid Butt aus Birmingham. Er ist im Jemen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er geplant hatte, das britische Konsulat und eine christliche Kirche anzugreifen.

Gestern streuten US-amerikanische Geheimdienstkreise, Reid sei in afghanischen Terroristenlagern ausgebildet worden. Gefangene in Afghanistan hätten den Schuhattentäter auf Fotos erkannt. Ein Agent erklärte im Fernsehen: „Reid hat offensichtlich seine Sache nicht gut gelernt.“

Wie hat Reid seingeplantes Attentat vorbereitet?

Ussama Bin Ladens Leute, das weiß man, hatten den Auftrag, sich unauffällig zu verhalten und sich an ihre Umgebeung anzupassen – bis hin zum Genuss von Alkohol. Reid tat das Gegenteil. Er produzierte Räucherstäbchen für Black Crescent, ein moslemisches Unternehmen, das seinen Angestellten fünfmal täglich eine Betpause gönnt. Die Stäbchen werden am U-Bahnhof Brixton verkauft. Den Job hatte Reid durch Kontakte in der Moschee bekommen. Nach seinem ersten Besuch in der Moschee ließ er sich einen Bart wachsen. Sein zunächst modisches Outfit ersetzte er nach und nach durch traditionelle muslimische Kleidung. Zunächst verbarg er sie unter Designermänteln, später trug er statt dessen Uniformjacken und setzte sich für den Kampf gegen Nichtmuslime ein. Unauffällig?

Seinen britischen Pass hat Reid erst am 7. Dezember in der britischen Botschaft in Brüssel beantragt. Sein Verhalten auf dem Pariser Flughafen lässt ebenso wenig auf einen Profiterroristen schließen. Arabische Musik und ein paar Koranverse im Handgepäck für einen Überseeflug, jedoch nicht mal eine Unterhose zum Wechseln, müssen auch den verschlafensten Angestellten einer Fluggesellschaft stutzig machen. Dass er die Zündschnur in seinem Sitz vor den Augen der Mitreisenden anzünden wollte, statt sich auf die Toilette zurückzuziehen, zeugt auch nicht gerade von einer Terrorausbildung. Wo er allerdings den Sprengstoff herhat, ist bisher unbekannt. „Er hat ihn sicher nicht in seinem kleinen Eckladen gekauft“, sagt US-Senator Richard Shelby, der im nachrichtendienstlichen Senatsausschuss sitzt.

Baker sagt, Reid sei stets freundlich gewesen: „Er wollte immer helfen und war sehr daran interessiert, die Grundlagen des Islam zu erlernen.“ Er sei niemals fähig, ein solches Attentat auf ein Flugzeug allein zu planen und durchzuführen, glaubt Baker, sondern er müsse Helfer gehabt haben. „Es sollte ein Test sein“, sagt er. „Wenn er es geschafft hätte, wüssten sie jetzt, dass diese Art Mechanismus funktioniert. Wenn das Flugzeug explodiert wäre, gäbe es kaum eine Spur und kaum einen Hinweis darauf, wie das geschehen konnte.“

Vielleicht ist Richard Reid ja auch nur gestört? Ein US-Regierungssprecher sagt, Reid habe sich beim Verhör „unberechenbar“ verhalten und werde einer psychologischen Untersuchung unterzogen. Wird er für voll zurechnungsfähig erklärt, drohen ihm 20 Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 250.000 US-Dollar.