Grünes Profil hat es schwer

Der Traum von der rot-grünen Regierung hat sechs Monate gedauert. Die Grünen müssen wieder in die Opposition. Noch-Justizsenator Wolfgang Wieland hält einen Generationswechsel für notwendig

Zu 95 Prozent haben wir das Regierungsprogramm formuliert Christan Ströbele ist ohne Zweifel eine Symbolfigur für die Linke

von PLUTONIA PLARRE
und UWE RADA

taz: Herr Wieland, wie fühlt man sich in den letzten Tagen als Senator?

Wolfgang Wieland: Meine Güte. Wie fühlt man sich?

Sentimental?

Die Amtszeit war mit sechs Monaten wahrlich zu kurz, um großen Trennungsschmerz zu zelebrieren. Wir wussten, dass wir ein Übergangssenat sind. Wir hatten eine Primäraufgabe, die CDU von der Regierungsgewalt abzulösen. Das ist erfüllt. Insoweit hat die Übung ihren Zweck gehabt. Natürlich wäre ich gern nach der Wahl für eine gewisse Dauer Justizsenator geblieben.

Sind Sie nicht auch erleichtert? Die Koalitionsverhandlungen mit der FDP waren doch nur ein Vorgeschmack auf das, was auf Sie zugekommen wäre.

Das wäre knochenhart geworden. Aber dass wir nur Probleme mit der FDP gehabt hätten, ist falsch. Das wurde von der SPD-Seite gezielt lanciert.

Verraten Sie uns doch mal, woran die Ampel wirklich gescheitert ist?

Das ist ja nun auch an der Koalitionsvereinbarung abzulesen, die Rot-Rot abgeschlossen hat. Die SPD-Seite, insbesondere Peter Strieder, hat der FDP vier Hürden hingestellt: Die drei Steuererhöhungen und dann noch die pauschalen Kürzungen im Wirtschaftsressort. Die SPD hat gesagt: Rüberspringen oder Ende der Veranstaltung. Dass eine Steuersenkungspartei nicht drei Steuererhöhungen mitträgt, war eigentlich klar.

Haben die Grünen mit ihrer Auszeit kurz zuvor der SPD nicht die Vorlage geliefert?

Diese Auszeit hat sicherlich das Bild der etwas chaotischen Grünen verstärkt und den Eindruck forciert, dass es mit der Ampel nicht geht.

Hatte es die SPD von Anfang an auf das Scheitern angelegt, oder erst nachdem Grüne und FDP aneinander geraten waren?

Das kann ich nicht beantworten. Ich kann nicht in die Köpfe von Peter Strieder und Klaus Wowereit schauen.

Im Nachhinein ist man doch manchmal schlauer.

Die ganze Verhandlungsführung, bei der am Ende die Dissense aufgetürmt wurden wie Trophäen, lässt zwei Interpretationen zu. Zum einen, dass die SPD, die sich die Verhandlungsführung ausbedungen hatte, es nicht besser konnte. Oder aber, dass sie es nicht besser wollte. Vom Ergebnis her war die Methode leicht schwachsinnig. Und klar ist, dass das Ende gewollt und sehr mutwillig herbeigeführt wurde. Das alles heißt aber nicht, dass die Ampel eine lange Halbwertszeit gehabt hätte.

Wie lange hält Rot-Rot?

Wir müssen uns drauf einstellen, dass Rot-Rot fünf Jahre lang regiert, und dass wir in dieser Zeit die Oppositionsrolle auszufüllen haben.

Wer wird in der Opposition den Ton angeben? Die Grünen, oder doch eher CDU und FDP?

Es ist für uns natürlich eine schwierige Rolle. Die Grobpolarisierung wird nach dem Rechts-Links-Schema verlaufen. Das heißt, Kritik an Rot-Rot wird eher von neoliberalen und konservativen Standpunkten aus formuliert. Da ist es schwierig, mit eigenem grünen Profil dagegen Opposition zu machen. Es ist auch schwierig, programmatisch gegen eine Regierungsgrundlage zu opponieren, die man zu 95 Prozent selber mit formuliert hat. Zum Beispiel im Bereich Inneres und Justiz.

Wenn so viel Grün drin ist in Rot-Rot, wäre es nicht konsequent, wenn Adrienne Goehler Kultursenatorin bliebe?

Adrienne Goehler ist von vielen aufgefordert werden, sich als Senatorin auch weiter zur Verfügung zu stellen.

Wäre das aus grüner Sicht wünschenswert?

Nein, überhaupt nicht. Es würde die eindeutig zu beantwortende Frage, ob die Grünen nun in der Regierung oder in der Opposition sind, verwischen. So was ist tödlich. Aber es wird auch nicht so kommen.

Welche Regierungsperspektive haben die Berliner Grünen noch?

In fünf Jahren sind große Entwicklungen in der Parteienlandschaft durchaus denkbar. Wir haben zunächst einmal die Aufgabe, in Berlin und bundesweit bei der kommenden Bundestagswahl zu bestehen. Wir müssen als Fraktion wieder in den Bundestag einziehen und dafür alle Kräfte aufbieten.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Grünen dabei an der Fünfprozenthürde scheitern könnten?

Sicherlich. Da ist gar nicht drumrum zu reden. Wir haben dies als Hürde vor uns. Wir sollten uns dieser Aufgabe genauso so stellen, wie wir uns im Jahre 1994 die Aufgabe gestellt haben, den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen. Das ist auch nun unser Primärziel und die Fortsetzung der rot-grünen Bundesregierung erst unser zweites Ziel.

Was würde ein Scheitern an der Fünfprozenthürde bedeuten?

Das wäre dramatisch und würde tatsächlich die Frage nach der Weiterexistenz der Grünen als Partei aufwerfen.

Was bedeutet das für den Berliner Bundestagswahlkampf?

Dass wir eine Konzentration unserer Kräfte vornehmen und in den nächsten neun Monaten das Bild eines politisch klaren und möglichst gemeinsam handelnden Landesverbandes abgeben müssen.

Kampfabstimmungen wie die zwischen Christian Ströbele und Andrea Fischer sprechen eine andere Sprache.

Die finden statt und sind in einer demokratischen Partei auch nichts Außergewöhnliches. Sie sind sogar wünschenswert. Allerdings ist es dann auch wünschenswert, dass man danach gemeinsam wieder am selben Projekt arbeitet.

Afghanistan-Einsatz, Genua, Untersuchungsausschuss, Sicherheitspaket: Kein grüner Bundestagsabgeordneter ist so präsent wie Christian Ströbele. Können sich die Grünen überhaupt leisten, auf so ein Zugpferd zu verzichten?

Er ist zweifelsohne die Symbolfigur für die Linke bei uns und jemand, der eine sehr große Bindungswirkung in die Linke hinein entfaltet. Die Entscheidung fällt aber unsere Mitgliederversammlung. Die Grünen werden sich diese Frage sehr genau zu überlegen haben.

Und Ihre eigene Meinung?

Ich gebe keine Wahlempfehlungen ab. Für niemanden.

Dann brauchen wir auch gar nicht fragen, womit sich denn Renate Künast für den Listenplatz eins in Berlin verdient gemacht hat?

Wer sagt denn, dass sie den bekommt? Das ist die Wahlentscheidung unserer Mitglieder. Die Situation ist nun mal so, dass wir zwei relativ sichere Plätze zu vergeben haben und dass es mehr Bewerberinnen und Bewerber gibt, die alle ihre Meriten um die Grünen erworben haben, auch Werner Schulz und Franziska Eichstädt-Bohlig. Jeder Kandidat hat auf jeweils anderen Gebieten viel für uns geleistet. Deswegen wehre ich mich dagegen zu sagen: Nur Ströbele ist die gesetzte Nummer. Er hat seine Verdienste, aber die anderen haben sie ohne jede Frage auch.

Wie sieht Ihre eigene politische Zukunft aus? Werden Sie ihr Abgeordnetenhausmandat wahrnehmen und auch den Fraktionsvorsitz übernehmen?

Ich nehme das Mandat wahr. Ich habe schließlich auf Platz zwei der Landesliste kandidiert. Über den Fraktionsvorstand werden wir erst Ende Januar reden und beschließen, so dass ich diese Frage wirklich noch nicht beantworten kann. Mein Gemütszustand ist aber nicht davon abhängig, dass ich Posten habe.

Warum nicht mal jemand Junges als Fraktionschef oder -chefin?

Wir machen den Generationswechsel sicherlich weiter. Schon jetzt hat sich unsere Fraktion ganz wesentlich erneuert. Der größte Teil der grünen Abgeordneten ist erst seit 1999 mit dabei, was man von der PDS nicht behaupten kann. Die PDS-Fraktion sitzt seit 1991 im wesentlichen unverändert im Abgeordnetenhaus. Niemand nimmt dies wahr. Gregor Gysi wird als frischer Impuls aufgefasst. Aber bei den Grünen kommt der erhobene Zeigefinger.

Die PDS hat mit Stefan Liebich sehr erfolgreich vorgeführt, wie man eine Partei auch in der Führungsposition verjüngen kann. Wer könnte bei den Grünen Führungsaufgaben wahrnehmen?

Wir haben mit Lisa Paus, Ramona Pop, Felicitas Kubala sowie Volker Ratzmann und Oliver Schruoffeneger eine ganze Reihe junger Politikerinnen und Politiker, die sehr schnell in Führungsfunktionen hineinwachsen werden.

Was heißt das für Sie persönlich. Werden Sie solange Führungsfunktionen einnehmen, bis jemand anderes an Ihre Stelle tritt? Oder halten Sie sich selbst für unabkömmlich?

Ich habe mich noch nie für unabkömmlich gehalten. Wir werden den Generationswechsel meines Erachtens in dieser Legislaturperiode vollziehen müssen und auch vollziehen. Und Generationswechsel heißt dann auch, dass ich keine Führungsfunktionen mehr innehaben werden. Wann dies der Fall ist, ob gleich zu Beginn oder im Verlauf der Legislaturperiode, darüber müssen wir diskutieren.