Die Sonne scheint hier nie

Denn diesmal hat Henning Mankell das Drehbuch für seinen trüben Cop selbst geschrieben:Kurt Wallander hat nichts mit biederem Krimieinerlei zu tun („Die falsche Fährte“, 22.15 Uhr, ZDF)

Der Ermittler blickt müde in eine Welt, die ihm Angst macht und die er nicht versteht

von CHRISTIAN BUSS

Wenn die Polizei auf der Bildfläche erscheint, wird alles gut. Dann lassen sich Suizidgefährdete überreden, es noch mal mit dem Leben zu probieren, und Angehörige von Mordopfern bekommen Mut zugesprochen.

Bei Kurt Wallander (Rolf Lassgard) ist das anders: Taucht der Ermittler auf, nimmt das Geschehen meist eine besonders üble Wendung. Manchmal guckt Wallander hinter sich, als ob da jemand wäre, der das Schlimmste verhindern könnte. Aber da steht natürlich nie jemand.

So auch nicht an diesem Morgen, als er von einem Bauern zu dessen Maisfeld bestellt wird, weil sich dort eine verstörte junge Frau versteckt. Wallander geht auf sie zu, worauf sie sich selbst in Brand setzt. Dem Polizisten fällt nichts Besseres ein, als um Hilfe zu rufen.

Und das Gefühl der Überforderung wird anhalten in diesem Fall, der Wallander mit einigen besonders unappetitlichen Tötungstechniken konfrontiert. Eine Gruppe von Honoratioren wird mit dem Tomahawk massakriert und skalpiert; ausgeführt werden die bizarren Hinrichtungen von einem 14-Jährigen, der sich wie ein Indianer auf dem Kriegspfad bemalt. Bei seinen Untersuchungen stößt der trübe Cop auf einen Ring von Mädchenhändlern, außerdem muß er in die Niederungen des dahinsiechenden schwedischen Sozialsystems hinabsteigen.

Eine seltsame Figur ist dieser Wallander, der von Henning Mankell Anfang der Neunziger erfunden wurde und sich inzwischen durch acht Romane gewalzt hat. Der massige Ermittler blickt müde in eine Welt, die ihm Angst macht und die er nicht versteht. Er trinkt ein bisschen zu viel und lügt ein bisschen zu oft, und er vernachlässigt seine halbwüchsige Tochter. Mal ehrlich, der Typ ist ein Soziopath – aber nicht unsympathisch. Das mag den Erfolg der Figur begründen: Romane, in denen Wallander auftritt, werden hierzulande immerhin mit einer Startauflage von 250.000 Exemplaren auf den Markt gebracht. Der Autor greift darin fast jede Ungeheuerlichkeit aus dem Katalog menschlicher Entgleisungen auf – und lässt dabei nie die Erzählung aus dem gemächlichen Takt geraten. Noch der größte Gewaltakt fügt sich bei ihm in den melodischen Fluss der Ereignisse.

Da stellt sich die Frage, wie sich dieser süße und offensichtlich süchtig machende Sound der Depression in einen Film übertragen lässt. Mit der Lösung, die für die TV-Aufbereitung von „Die falsche Fährte“ gefunden wurde, werden viele Mankell-Aficionados nicht einverstanden sein – was keineswegs gegen den Film spricht. Im Gegenteil: Für die Produktion, die vierte Adaption eines Mankell-Romans bereits, hat der Bestsellerautor erstmalig selbst das Drehbuch verfasst und glücklicherweise darauf verzichtet, einfach nur die mürben inneren Monologe seines Helden zu illustrieren. So ist der Dreiteiler frei von all den unverbindlich dahin geseufzten Statements zum Zusammenbruch des Sozialstaates, die der Trauerkloß im Roman alle zwanzig Seiten nur wenig variiert absondert. Dem wird in der Verfilmung eine wahrlich bedrohlich wirkende Form von Sprachlosigkeit entgegengesetzt: Mankell lässt seinen Ermittler in fast allen brenzligen zwischenmenschlichen Situationen auflaufen, und nicht selten erinnern diese Szenen des stillen Scheiterns an die Filme von Ingmar Bergman, mit dessen Tochter Mankell liiert ist. Als hätten sich Mankell und Regisseur Leif Magnusson vor dem Dreh noch einmal die Werke des pessimistischen Beziehungsanalytikers Bergman angeschaut, finden sie für die Kommunikationsunfähigkeit des Ermittlers erschreckend einfache Bilder: Als Wallander am Telefon mit der Mutter eines Mordopfers sprechen soll, knallt er hilflos den Hörer auf; spricht ihn die Tochter auf seine Exfrau an, dreht er sich weg. Am Ende ist nur noch Schweigen.

Bei dieser düsteren Grundstimmung gerät der Plot schon mal in den Hintergrund. Aber an den kriminalistischen Verstrickungen, die über drei Stunden wenig kunstvoll ausgebreitet werden, scheint Mankell sowieso nicht sonderlich interessiert zu sein – auf die Lösung kommt der Ermittler eher zufällig.

Die Verantwortlichen beim ZDF, die zum ersten Mal eine Mankell-Verfilmung mitproduziert haben und bei zwei weiteren dabei sein wollen, waren klug genug, den Einsatz auf finanzielle Aspekte zu begrenzen. So können sie jetzt nach „Die Sopranos“ und „Für alle Fälle Fitz“ eine weitere Produktion ins Feld schicken, die aus dem biederen Krimieinerlei hervorsticht. Dem Zuschauer bleiben, anders als bei anderen europäischen Kooperationen, peinliche Gastauftritte deutscher Schauspieler ebenso erspart wie schöngefärbte Bilder, die das Urlaubsland aus der Touristenperspektive zeigen. Selbst wenn es den Kommissar während der Untersuchungen an den Strand verschlägt – die Sonne scheint hier nie.

(Fortsetzung am Sonnabend undSonntag, jeweils 22.00 Uhr, ZDF)