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Die Erinnerungen des Tiergärtners Heinrich Dathe
: Plaudern über Hängebauchschweine

Als Kind gehörte der Direktor des Berliner Tierparks zu meinen Fernsehlieblingen. Regelmäßig führte Heinrich Dathe im DDR-Fernsehen lehrreich und mit Humor durch sein tierisches Reich. Mit seinen Geschichten über Zebras und Kolibris zog ein Hauch von weiter Welt durch die Wohnstube. Dathe war von 1954 bis 1990 im Amt, musste nach der Wende aber seinen Posten und die Dienstwohnung im Tierpark räumen. Laut Einigungsvertrag waren Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Pensionsalter sofort in den Ruhestand zu versetzen. Trotzdem waren viele Berliner über die plötzliche Absetzung des damals 80-Jährigen empört. Der starb bald darauf, im Januar 1991.

„Die Umstände, die nicht fair waren, haben ihm sehr zugesetzt“, glaubt sein Sohn Falk. Er hat mit seinen Geschwistern Holger und Almut die „Lebenserinnerungen eines leidenschaftlichen Tiergärtners“ herausgegeben. Der etwas antiquiert wirkende Titel stammt von Heinrich Dathe selbst, der sich in den letzten Lebensjahren an das Schreiben seiner Biografie machte. Doch er kam nur bis Mitte der 50er-Jahre. So endet das Buch schon mit den ersten Jahren des Tierparks. Dafür gibt es einige Aufsätze und Tiergeschichten.

Dathe ist auch schreibend der charmante Plauderer, der wie früher im Fernsehen lieber Geschichten erzählte als trockene Daten über Hängebauchschweine oder Stacheltiere aneinander zu reihen. Er erzählt die erste Hälfte seines Lebens in Anekdoten, manchmal mit Hang zum Galgenhumor. So half ihm in der englischen Kriegsgefangenschaft sein zoologisches Wissen. Denn einmal schwimmen auf der dünnen Suppe Köpfchen und Beine des Erbsenkäfers: „Die Kameraden hielten all das für groben Pfeffer und aßen mit Appetit. Nicht der Zoologe! Das wurmte mich und ich ging zum Lagerarzt, um mich zu beschweren.“ Nach dem Krieg hätte der in ganz Deutschland anerkannte Fachmann Zoodirektor in Wuppertal, Halle und Leipzig werden können. „Ich hatte gar keine Lust, aus meiner geliebten Messestadt in die Riesenstadt Berlin überzusiedeln.“ Einer der Gründe dafür lag auf der Hand: Sachsen waren damals „nicht eben beliebt in Berlin“.

Doch die Ostberliner Stadtväter hatten sich Dathe ausgeguckt, ungeachtet seiner Einwände, zwei Zoos seien im Nachkriegs-Berlin einfach zu viel. Denn schon vor dem Krieg gab es Pläne, in der Stadt einen zweiten Zoo zu eröffnen. Nach der Besichtigung des Schlossparks Friedrichsfelde war der damals 44-Jährige begeistert. „Das ist die Chance deines Lebens, hier kannst du etwas völlig Neues entstehen lassen.“

Ein Traum ging in Erfüllung. Als 12-Jähriger hatte er in einem Schulaufsatz geschrieben, dass er am liebsten einen „größeren Garten anlegen möchte, worin ich Pflanzen und Tiere verwildern ließe, mit Palmen, Kakteen und Bananenbäumen, Schlangen, Eidechsen, Faultieren und Affen. Möge Gott mir wenigstens einen Teil dieser Wünsche in Erfüllung gehen lassen.“ Gott half. Die DDR. Und die Ostberliner, die tausende Arbeitsstunden in den Aufbau des Landschaftstierparks investierten. Betriebe spendeten Tiere, von einer Kühlanlagenfirma kam ein Eisbär, vom Ministerium für Schwerindustrie eine Elefantin.

Dathe war übrigens nie in der SED. Trat aber als 21-Jähriger der NSDAP bei und verschweigt dies in seinen Memoiren nicht, sondern schreibt ausführlich über seine damaligen Beweggründe und Gefühle. ANDREAS HERGETH

Heinrich Dathe: „Lebenserinnerungen eines leidenschaftlichen Tiergärtners“. Koehler & Amelang München/Berlin, 319 Seiten, 19,90 Euro (39,80 DM)