Seid verdammt fortan für immerdar, Dummworte!

Eine kleine Auswahl der Sprachscheusale und Terrorvokabeln des Jahres 2001 – zusammengetragen von den sachverständigen Wahrheit-Autoren (Teil 2)

Und hier geht’s weiter:

K-Frage

Lord Voldemort, der finstere Gegenspieler Harry Potters, heißt unter Zauberern „Der, dessen Name nicht genannt werden darf“ bzw. „Du-weißt-schon-wer“. Ganz ähnlich ging es in diesem Jahr bei den Muggels von der CDU/CSU-Fraktion zu. Im Bestreben, nicht darüber zu sprechen, wer Kanzlerkandidat der Opposition werden soll, Stoiber oder Merkel, kultivierten sie die Rede von der „K-Frage“: Wer das Wort „K-Frage“ in den Mund nimmt, meint: „Die Sache, über die nicht geredet werden darf“ – und von der folglich ein viel größerer Reiz ausgeht als von der einfachen Beantwortung der Frage.

Es steht zu befürchten, dass sich die K-Frage in den allgemeinen Sprachgebrauch einnistet und zur Redensart wird. Die sexuellen Präferenzen einer berühmten Figur aus dem Showbusiness? Eine K-Frage. Der Zustand, in dem man sich nach einem peinlichen Fauxpas befindet? Eine K-Frage. Abwehr unangenehmer Themen in Diskussionen: Keine K-Fragen, bitte!

Schneller, als man denkt, heißt K-Frage auch nicht mehr K-Frage, sondern Kafrage, und dann ist eh kein Halten mehr: Nach Angst und Zeitgeist übernehmen die Amerikaner die Kafrage; kommende Generationen glauben, das Wort stamme aus dem Französischen. Das muss verhindert werden – keine Frage. CAROLA RÖNNEBURG

Ich denke mal

Von der deutschen Sprache sollte nie wieder ein Satz ausgehen, der beginnt mit „ich denke mal“! Denn „ich denke mal“ war im Jahr 2001 die konsequente Fortsetzung des schrecklichsten aller schrecklichen Sätze aus dem Jahr 2000. Er lautete: „ich sage mal“. Wahlweise auch „ich sach ma“ oder „ich sack maa“ oder „ich sag mal“. So oder so drückte er aus, dass der „ich sage mal“-Sager, bevor er „ich sage mal“ sagt, noch nicht darüber nachgedacht hat, was er sagen will. Und selbiges gilt auch für all jene, die da erklären „ich denke mal“. Nachgedacht über das, was sie sagen wollen, hat bis zum Ende der Phrase „ich denke mal“ noch keiner! Wer nämlich „mal“ sagt, könnte genau so gut auch „maal“ sagen oder „mahl“. Kurz: „mal“ bedeutet Beliebigkeit – und deutet an, dass die „ich denke mal“-Sager beim Reden alles andere machen als allmählich, aber strukturiert ihre Gedanken zu verfertigen. Bestenfalls lassen sie sie schweifen in Erwartung heftiger Geistesblitze. „Andenken . . .“ – und zwar das Verb nicht das Souvenir – gehört auch in diese Kategorie des großen „ich sag/denk mal“-Quatsches – behaupte ich jedenfalls mal. BJÖRN BLASCHKE

Millennium

Millennium – in Britannien ist dafür gesorgt, dass das Wort so schnell nicht in Vergessenheit gerät. Von der Millennium-Imbissbude über den Millennium Dome bis hin zur Millennium Bridge – alles schmückt sich mit dem Substantiv, das Ewigkeit suggerieren soll, aber längst für Pleiten und Fiasko steht. Die Attraktionen in der Jahrtausendkuppel, dem Millennium Dome, waren so verschnarcht, dass das Megazelt Ende 2000 wieder eingepackt werden musste. Die „Millennium Bridge“, die Themsebrücke zwischen der Londoner City und der neuen Tate-Galerie, konnte gar nicht erst richtig in Betrieb genommen werden. Bei der Eröffnung im Juni 2000 watschelte eine riesige Menschenmenge wie eine Horde Enten über die Brücke. Die Brücke schwankte nämlich wie ein Halm im Wind. Die swinging bridge musste einen Tag nach der Eröffnung wieder geschlossen werden, damit Stoßdämpfer eingebaut werden konnten. Als ob das nicht schlimm genug wäre, so entschieden die Hüter der Zeit, die über die Greenwich Mean Time am Nullmeridian in London wachen, dass das neue Jahrtausend erst am 1. Januar 2001 beginnt, weil die Zeitrechnung ja nicht mit dem Jahr null begann. In Schottland nahm man diesen Hinweis ernst, und so feierte man am 1. Januar dieses Jahres das Millennium erneut. Zur Millenniumsfeier hob der Stadtrat von Edinburgh das Verbot auf, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. RALF SOTSCHECK

Fußball

Nicht mehr tagein und tagaus befeuert und beballert, weder akustisch noch schriftlich konfrontiert werden möchte ich mit dem Wort der Wörter, mit dem maliziös magischen Wort, das alle Völker dieser Erde in ihren milliardenfachen Mündern führen für und für; das sie alle gleichermaßen schätzen als Klasseninteressen und reale Bedürfnisse überwölbendes und verschleierndes Faszinosum; dessen angeblich menschheitseinigender Strahlkraft und metaphysischem Muckermindersinn sie samt und sonders jahrein, jahraus und 2002 erneut besonders verblendet erliegen; das zoon logon echon, das mit Sprache ausgestattete Wesen Mensch, auf- und anstachelt wie kein anderes akustisch-semantisches Element seines unermesslich reichen und schönen Wortschatzes.

Sprechen Sie es ruhig mal vor sich hin, dieses Wort: Fußball. Fußball. Fußball. Fußball. Fußball. Nein, mag das Wortscheusal „Fußball“ irgendeine Bedeutung haben, so höchstens jene, dass bei ihm, dem Unwort, ja Megawort des Unholdwesens, Unterschlupf finden die gemeinen Wörter Franz Beckenbauer, Reiner Calmund, Loddar Matthäus, Ruuudi Assauer und letztlich auch Rudl Völler. Im Jahr 2002 sollte der Homo sapiens soweit sein, das Wort „Fußball“ durch die UNO ächten zu lassen, aus den Lexika zu verbannen und zu vergessen. Passé mögen dann sein die würdelosen Zeiten, da es wie in Shakespeares Komödie Irrungen, Wirrungen minütlich, sekündlich rund um den Erdball klagt, „dass ihr mich wie ’nen Fußball schlagt“. Und sei’s halt in Gottes eigenem Namen nach der WM. JÜRGEN ROTH

Schlechthin

Es gibt ein Wort, das ansatzlos aus dem Fundus der deutschen Sprache gestrichen werden könnte – nichts würde fehlen, aber alle würden es vermissen. Es handelt sich um das kleine, an sich unschuldige Wörtchen „schlechthin“, das Lieblingswort der Schwätzer und Schwaller, die an dieser Stelle natürlich sagen würden: das Lieblingswort schlechthin. Wenn es entweder hin und wieder oder etwa hier bzw. da zum Einsatz käme, es wäre verkraftbar. Doch bei der Dosis, in welcher es täglich verabreicht wird, kollabiert die Contenance. Das sind die Schlagzeilen eines einzigen Tages: „Nickel – das Allergen schlechthin“ / Die Ermordung von Arkan – Der Balkanböse schlechthin“ / „Fasten – das Naturheilmittel schlechthin“ / „Tanga Elefant – der Sexy-Slip schlechthin“ / „Las Vegas, die Spielhölle schlechthin“ / „Bora-Bora Ibiza, der Strandurlaub schlechthin auf Ibiza“. Germany under attack: Diese Meldung als Daueralarm auf allen Rundfunk- und Fernsehstationen über Antenne, Satellit oder Kabel, / bei jedem Anschlag auf den zivilisierten Korpus der Sprache durch das Dummwort schlechthin, die Terrorvokabel.

RAYK WIELAND