Zeit der Vogelmenschen

In den 50 Jahren ihres Bestehens hat sich die morgen beginnende Vierschanzentournee von einer Schnapsidee in ein Riesengeschäft mit TV-Quoten im zweistelligen Millionenbereich verwandelt

aus Oberstdorf KATHRIN ZEILMANN

Der erste Sieger der Vierschanzentournee hatte vor dem Springen die Schanze noch selbst mit präpariert und sich seinen Lebensunterhalt als Skilehrer verdient. Der Springer, der die diesjährige 50. Auflage der Tournee gewinnen wird, muss nur noch springen und nett in die Kamera lächeln. Er darf sich über Preisgeld bis zu einer viertel Million Euro freuen und in einem schicken Audi A 4 davonfahren.

Wenn morgen in Oberstdorf die Vierschanzentournee beginnt, dann ist die Schattenbergschanze schon seit einem Monat mit einer leuchtenden, großen „50“ versehen, dann wurde am Abend vorher eine (von RTL gestaltete) Gala gefeiert und ein Jubiläumsbuch gedruckt. Die Veranstalter lassen sich keinesfalls lumpen, wenn es darum geht, den 50. Geburtstag einer der bedeutendsten Wintersportveranstaltungen zu feiern.

Vor mehr als einem halben Jahrhundert hat wohl niemand der Springerfreunde aus Innsbruck und Partenkirchen, die in einer gemütlichen Stube in Partenkirchen die Idee hatten, eine „Springertournee“ zu veranstalten, geahnt, was einmal daraus werden würde: ein Millionengeschäft nämlich für Sponsoren, Veranstalter und Fernsehstationen, ein Quotenrenner im Fernsehen und für die Springer neben Weltmeisterschaften und Olympia der absolute Saisonhöhepunkt.

Am Neujahrstag 1953 begann die Tournee, und schon damals pilgerten 20.000 Zuschauer zur Partenkirchener Olympiaschanze, wo sich fast 50 „Vogelmenschen“, wie die Zeitungen damals schrieben, von der Schanze stürzten. Misstrauisch beäugt von der internationalen Politik, hatte die länderübergreifende Sportveranstaltung anfangs keinen leichten Stand. Völkerverständigung zwischen Deutschland und Österreich wurde nach den Schrecknissen des Nazi-Reiches nicht von allen Seiten gerne gesehen. „Aber die Idee hat sich zum Glück durchgesetzt“, sagt der heutige Tourneepräsident Hans Ostler.

Mit einem bislang ungebrochenen Rekord ist Jens Weißflog in die Tournee-Annalen eingegangen. Viermal stand er am Ende ganz oben. Das hat bisher sonst niemand geschafft, und auch bei der Jubiläumsauflage kann keiner der gemeldeten Athleten den vierten Sieg anstreben, denn dreimal gewonnen hat von ihnen noch keiner. „Die Tournee-Siege sind schon gleichzusetzen mit meinen Olympiasiegen“, meint der heute 37-jährige Weißflog. Das besondere Flair der Vierschanzentournee „kann ich nur schwer beschreiben“. Natürlich, so der Oberwiesenthaler, sei es auch stressig, innerhalb von neun Tagen zu vier verschiedenen Orten (Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck, Bischofshofen) in den Alpen zu reisen, „aber genau das ist ja das Besondere: Die Strapazen verkraften und bei allen vier Springen Bestleistung zu bringen“. Er umschreibt die Tournee während seiner aktiven Zeit gerne als „familiär. Man hat die Orte gekannt und viele Leute dort. Ich habe mich immer wohlgefühlt.“

Familiär war es wohl wirklich früher einmal bei der Tournee. In ihren Anfängen, als oft der Zufall Regie führte, es manche Pannen gab, über die man aber lächelnd hinwegsah, und auch noch zu Weißflogs Zeiten, der seine Siege zwischen 1984 und 1996 errang. Aber die Zeiten, in denen es Kristallvasen, Elektrogeräte und allerlei Pokale für die Gewinner gab und die ARD und das ZDF gemächliche Bilder in die Wohnzimmer brachten, sind vorbei. Es geht mittlerweile um Millionen. RTL hat sich die Rechte an der Vierschanzentournee gesichert, der Kölner Privatsender hat die Veranstaltungen längst zum Event ausgebaut, Moderator Günther Jauch und Experte Dieter Thoma spielen Entertainer zwischen den Durchgängen, und Werbekunden müssen für ihre Spots während der Übertragung kräftig bezahlen: 30 Sekunden im Finale für rund 60.000 Euro. „Das ist Formel-1-Niveau“, freut sich Christian Pirzer von der Agentur IMG, die seit zehn Jahren die Marketingrechte der Tournee innehat. Stolz erzählt er von den drehbaren Banden, die es sonst nirgends bei Wintersportveranstaltungen gebe und davon, dass man innerhalb eines Jahrzehnts den Umsatz der Tournee verachtfachen konnte. „Gerade in Wachstumsmärkten wie Osteuropa findet die Tournee große Beachtung“, erklärt Rudi Lamprecht von Hauptsponsor Siemens mobile sehr geschäftstüchtig. Und RTL-Informationsdirektor Hans Mahr reibt sich schon einmal die Hände in der Hoffnung auf Einschaltquoten im zweistelligen Millionenbereich.

Aber um es nicht im Zahlenwirbel zu vergessen: Es wird auch bei der 50. Tournee noch gesprungen. Martin Schmitt ist nach zuletzt mäßigen Weltcupplatzierungen nur Außenseiter, Sven Hannawald werden von Bundestrainer Reinhard Heß „gewisse Siegchancen“ eingeräumt. Doch Favorit ist allein Adam Malysz aus Polen (siehe Reportage auf Seite 4), der bereits bei der vergangenen Tournee die Konkurrenz düpierte und mit dem größten Punkteabstand aller Zeiten siegte. Vielleicht gelingt dem in bestechender Form auftretenden Polen ja das, was noch niemand geschafft hat: alle vier Einzelspringen der Tournee zu gewinnen.