Und Motschmann nahm die Strickleiter

■ Es wird ein ereignisreiches Jahr gewesen sein: Der vorauseilende Jahresrückblick auf 2002 bringt ein paar Promis in Behandlung und Bedrängnis. Andere werden weggegangen sein, wieder andre kommen wieder. Lesen Sie selbst.

6. Januar Der Weser-Report meldet, dem Bremer Musical sei nach der Einstellung von Hair am 3. Januar ein spektakulärer Coup gelungen. Mit Cats werde ein echtes Erfolgsmusical an die Weser kommen. Chefredakteur Axel Schuller fordert in einem Leitartikel eine Verdoppelung der Stadtmarketing- Aufwendungen. Der Weser Kurier schreibt, die Kulissen habe man in Hamburg gegen eine Entrümpelungsgebühr erstanden. Musical-Mehrheitsgesellschafter Klaus-Peter Schulenberg erwirkt eine Gegendarstellung, weil er zusätzlich dem Lagerverwalter sieben Dosen Bier spendieren musste.

5. Februar Hamburgs erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erklärt den Rückzug aus dem gemeinsamen Bau eines Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven, da sich keine privaten Investoren gefunden hätten. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) geht auf Distanz zu dem Projekt. „Ich habe immer gesagt, dass die Investorensuche schwierig werden würde“, erklärt dazu Bremens Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU), „aber notfalls werden wir das Projekt auch sine kollegas stemmen.“

13. Februar Bremen kauft Wilhelmshaven von Niedersachsen, das im Gegenzug das Hollerland erhält. Christine Wischer (SPD) ernennt Gerold Janssen zum Ehrenbürger von Wilhelmshaven, der lehnt ab. Niedersachsen erhält zusätzlich eine Milliarde Euro, zahlbar bis zum Jahr 2010. Hinzu kommen geschätzte Kosten in Höhe von 370 Millionen Euro für den Bau des neuen Hafens. „Das fällt dem bremischen Haushalt nicht zur Last“, so Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU). Der Bund müsse Bremen die Hafenlasten ohnehin ersetzen. Die Bremen Ports GmbH soll ihren Sitz nach Wilhelmshaven verlegen. „Das ist im Sinne einer effizienten Neustrukturierung der Aufgaben in unserem Drei-Städte-Staat“, erklärt Häfensenator Hattig. Sorgen mache ihm nur noch die Verkehrsanbindung der neuen See-stadt. Er werde sich in Berlin aber „cum pressione maxima“ für einen achtspurigen Ausbau der A29 einsetzen.

8. März Cats ist gescheitert. Musical-Chef Meyer-Brede wird in ein Musical-Kompetenz-Zentrum abgeschoben. Zweieinhalb Wochen später läuft am Richtweg mit Riesenerfolg das Musical „Die Bremer Stadtmusikanten“. Bernd Schuster, Carsten Sieling und Jens Böhrnsen treten im Vorprogramm mit dem Hit auf: „Wir sind die junge SPD, und wir tun wirklich keinem weh.“ Das gebildete Publikum kennt die Fortsetzung auswendig: „Der Scherf ist unser Überpapa – wir machen jetzt mal Schnappa-schnappa.“ Klaus Peter Schulenburg, Betreiber des Musicals, managt mittlerweile auch das Gesamtmarketing von sich ... äh ... von der Stadt Bremen natürlich. Er veröffentlicht in den Zeitungen der ganzen Republik Gegendarstellungen Marke „Bremen ist gar nicht scheiße“ oder „In Bremerhaven gibt es im Gegensatz zur gestern an dieser Stelle verbreiteten Meldung kaum Arbeitslose.“

16. April Die taz ist es leid. Nach wochenlanger interner Diskussion über Leserbindung und dem vierten Primelbild innerhalb einer Woche auf den Bremen-Seiten des WeserKurier entschließt sich auch die taz-Redaktion für ein Frühlingsbeet-Bild. Überschrift: „Man muss die Leute da lassen, wo sie sind“. Drei Fotografen kündigen fristlos. Die Redakteure fordern eine Gehaltserhöhung.

22. April Das Organisationskomitee für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gibt um 11 Uhr die Austragungsorte der Spiele bekannt. Bremen ist nicht dabei. Um 13 Uhr gibt der Bremer Ausschuss für Wirtschaftsforschung eine Pressekonferenz. BAW-Chef Frank Haller präsentiert ein Gutachten, nach dem das Weserstadion „jetzt erst recht“ ausgebaut werden müsse. „Nur dann haben wir eine Chance, bei der WM 2038 dabei zu sein“, so Haller. Es sei statistisch eindeutig belegt, dass Deutschland alle 32 Jahre Veranstalter einer WM sei.

4. Mai Werder ist Meister geworden. Das Volk tobt, als Spieler, Spielerfrauen und Henning Scherf den Rathaus-Balkon besteigen, hinter der Plane aber nicht zu sehen sind. Das Rathaus bedauert den Vorfall am nächsten Tag per Pressemitteilung.

6.Mai Der Skandal um den Bremer Bauunternehmer Kurt Zech spitzt sich zu. Immer mehr Größen aus der Bremer Politik straucheln über die Affäre. Willi Lemke, dessen Ein-Familien-Haus ebenfalls von Zech gebaut wurde, nimmt seinen Hut. Man munkelt, er habe dem Baulöwen Vorteile gewährt beim Ostkurven-Umbau im Weserstadion. Lemke bestreitet einen Zusammenhang mit dem Bauskandal und behauptet vielmehr, er sei sehr erfolgreich gewesen und wolle nun die Fußball-Weltmeisterschaft managen. Als seinen Nachfolger schlägt die CDU den Abgeordneten Claas Rohmeyer vor. Der aber gerät aus Versehen in den Deutsch-für-Ausländer-Test an der Bremer Volkshochschule und fällt durch. Die CDU zieht ihren Vorschlag zurück. Das Ressort verwaist.

9. Mai Zech meldet Konkurs an.

7. Juni Auf einer Pressekonferenz im neu errichteten Sanierungskompetenzzentrum stellt der Chef des Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung Frank Haller das neue Gutachten zu den Synergieeffekten der Marketingbündelung großer und mittelgroßer Touristenattraktionen im Lande Bremen vor. Im Vergleich zu denselben Monaten Januar, März und Oktober des Jahres 1996 hätten sich die Übernachtungszahlen um 0,6 Prozent gesteigert. Bei der Nachfrage der Journalisten-Kollegin, wie sich das denn für Bremerhaven darstelle, passiert es dann: Frank Haller guckt wirr und verlangt nach einer Tasse Umwegrendite mit Zucker. Als er nur heißes Wasser bekommt, brüllt er, „ich heiße doch nicht Scherf und auch nicht Henning, sondern Frank Zander, plitsch platsch.“ Dann sagt er noch, das Schicksal Bremerhavens läge auf dem Grund des Ozeans um sich anschließend ohne Widerstand von den herbeigerufenen Pflegern abführen zu lassen. Rosi Roland schreibt, Haller arbeite jetzt in seinem kleinen Zimmerchen in Bremen-Ost an einem Gutachten über die Klinik.

12. Juli Der Space Park wird eröffnet. Allerdings fehlt nach wie vor der so genannte Anker-Mieter. Zunächst sind zwei Verbrauchermärkte, drei Spielhallen und ein Erotik-Kino in Betrieb. Prominente wie der Oberbürgermeister von Oberhausen und Indonesiens Ex-Staatspräsident Habibie gratulieren. Der probeweise entlassene Frank Haller gründet ein Busunternehmen und shuttelt täglich zweimal von Achim zum Space Park und zurück. Die taz erkundigt sich nach dem Mietpreis der zentralen Ankerimmobilie. Wenn die taz den Rasen mähte und Redakteur Wolschner die Öffentlichkeitsarbeit übernehme, sei die Sache gebongt, so das Angebot. Die taz will sich die Sache überlegen und legt die Termine für 14 Vollversammlungen zum Thema fest.

7. August Das Projekt “Erlebniswelt Auswanderung“ in Bremerhaven ist am Ende. Es stellt sich heraus, dass das Herz der Schau, die Auswandererdatenbank, komplett gefälscht ist. Alle Einträge sind einem bislang unveröffentlichten Manuskript von Karl May entnommen. Von den bewilligten 20 Millionen Euro sind allerdings schon 16,3 Millionen für die Planung ausgegeben worden. Aber Bürgermeister Jörg Schulz (SPD) hat eine Alternative parat: „Wir planen jetzt die Erlebniswelt Arbeit.“ Damit werde ein anderer Aspekt aus der Geschichte der Seestadt aufgegriffen. „Nachdem sich die Hoffnungen in den Städtetourismus nicht erfüllt haben“, so Schulz, „zielen wir jetzt verstärkt auf den lokalen Urban-Edutainment-Markt.“

11. September Eine Delegation der Bremer Grünen fliegt nach New York, um das nach dem Anschlag auf das World Trade Center gesammelte Geld an den New Yorker Bürgermeister zu übergeben. Es sind 164 Euro und 22 Cent zusammen gekommen. Die Grünen stocken auf 168 Euro auf. Der neue Rasen um das neue World Trade Center, für den die Spende eigentlich gedacht war, ist allerdings schon gesät. Die Grünen entscheiden sich für ein Apfelbäumchen. Zurück in Bremen erhebt Jutta Ditfurth Copyright-Ansprüche: Das Bäumchen soll, so ihr Anwalt, wieder entfernt werden, die Aktion sei nicht im Sinne ihre Vaters Hoimar von Ditfurth. In der Bürgerschaft findet ein Streitgespräch zwischen Jutta Ditfurth und Hermann Kuhn statt. Radio Bremen 2 will das Gespräch live senden, merkt dann aber, dass es ja gar nicht mehr auf Sendung ist.

22. September Noch am Abend nach der Bundestagswahl erklärt Ronald Schill (PRO), designierter Finanzminister im Kabinett des Wahlsiegers Edmund Stoiber (CDU), er fühle sich nicht an den Brief des amtierenden Bundeskanzlers Gerhard Schröder gebunden, in dem dieser Bremen die Ersetzung von Steuerausfällen in Folge der Steuerreform zugesagt hat. Vielleicht könne Schröder ja Spenden zur Deckung der Verpflichtung sammeln. Stoiber schlägt vor, die Stimmen aus Länderfinanzausgleich-Empfängerländern in Bundestag und Bundesrat ruhen zu lassen: „Das Prinzip fördern und fordern bedeutet, dass wir auch Anreize für ein solide Finanzpolitik schaffen müssen.“

28. September Der Senat überrascht die Bürgerschaft mit dem Dringlichkeitsantrag, Wilhelmshaven in Josefshaven umzubenennen. „Wir wollen damit ein deutliches Zeichen für den Neuanfang setzen“, sagt Bürgermeister Henning Scherf (SPD) in der Debatte. Dagegen stimmen nur die Grünen sowie sämtliche Abgeordneten aus Bremerhaven. Es dauert zwei Stunden, Manfred Schramm (Grüne) davon zu überzeugen, dass er nicht doppelt dagegen stimmen kann.

1. Oktober AfB, Statt-Partei, FDP und Schill-Partei erklären ihre gemeinsame Kandidatur zur Bürgerschaftswahl. Als erste gemeinsame Initiative fordert das Bündnis die Umbenennung des Bürgerparks in „Bürgerblockpark“. Am nächsten Morgen stellt ein Friedhofsgärtner fest, dass auf dem Grab des AfB-Mitgründers Friedrich Rebers sämtliche Pflanzen eingegangen sind.

3. Oktober Die Zeit drängt. Im Jahre 2005 soll die Sanierung der bremischen Staatfinanzen erfolgreich beendet werden – eine Entwicklung, die sich aus der mittelfris-tigen Planung der Fachleute im Finanzressort nicht zwingend ableiten lässt. Die neue Sprachregelung heißt: „Der Bremer Senat ist weiterhin um einen erfolgreichen Abschluss der Sanierung stark bemüht.“ Der Pressesprecher des Finanzressorts, Dr. Stefan Luft, schlägt vor, alle „Bedenkenträger“ nach Bayern abzuschieben. „Das ist kein Nehmerland“, weist Perschau den Vorschlag empört zurück. Luft kündigt.

11. November Der kicker meldet, das Bremer Wirtschaftsressort habe Torsten Frings bei seiner Vertragsverlängerung bis 2008 ein Handgeld in Höhe von 2,5 Millionen Euro gezahlt. Das Geld stammt aus dem Stadtmarketing-Topf. Bürgermeister Henning Scherf bezeichnet die Ausgabe als „wichtige Zukunftsinvestition“. Schließlich rentiere sich der teure Stadionausbau nur, wenn Werder Bremen in der Champions League spiele. Scherf: „Das werden die Krämerseelen in unserer Stadt auch irgendwann kapieren.“

24. Dezember An der Schlachte macht ein Schiff fest, geladen bis an den höchsten Bug. Keiner weiß woher es kommt oder wohin es fährt. Anwohner wollen eines Nachts einen heulenden Ruf gehört haben: „Pastor Motschmann, kommen sie an Bord.“ Herr Motschmann soll gesagt haben, für solche Event-Sachen sei eigentlich seine Frau zuständig, habe dann aber doch per Strickleiter das Schiff bestiegen. Am nächsten Morgen war das Schiff weg. Die Glocken der Martini-Kirche sind stumm seit diesem Moment.

Jan Kahlcke / Elke Heyduck