Die letzten Handwerker

Skulptur als schweres Zeichen: An den Plastiken von Monika und Klaus Müller-Klug kann man sich einen Bruch heben. Der Handwerkscharakter ihrer Bildhauerei bildet aber auch ein Gegengewicht zum luftigen New-Economy-Berlin

Zwei Bildhauer. Bremen, dann Berlin, Lüchow-Dannenberg, und jetzt wieder Berlin: „Wir sind zu lange auf dem Land gewesen“, sagt Monika Müller-Klug. Ich erinnere mich jedoch, dass ihre Plastiken aus Naturstein auch schon bei ihrem ersten Berlinaufenthalt sehr, sehr schwer waren. Das Atelier befand sich damals in der Hagenstraße. Der Raum war so hoch, dass es wie ein Pistolenschuss klang, wenn man nachts hustete. Jetzt arbeitet Monika in Holz und Klaus weiter mit Steinen.

Rudolf Steiner sagte einmal: „Warum muss man immer dumpf auf Bekanntes zurückgehen, wenn man neue Ideen verstehen will – und bei den Säulen im Goetheaneum zum Beispiel immer gleich an ,Elefantenfüße‘ denken?“ Das dachte ich auch bei den Plastiken von Klaus Müller-Klug sofort, eine heißt sogar „Elephants“. Schon an den Walzstahlsockeln, auf denen die „Elefantenfüße“ ruhen, kann man sich einen Bruch heben, und auch die großen Kantholzplastiken lassen sich nicht einfach unterm Arm davontragen.

Vom Weimaraner, dem das Regieren als „Handwerk“ galt (weswegen das ungelernte Volk besser die Finger davon lassen sollte), bis zu den taz-Chefredakteuren, die „sauberes Handwerk“ verlangen, gibt es in Deutschland eine große Verehrung des Profis. Monika und Klaus Müller-Klug bildhauern mit Profigerät: Erstere mit Motorsäge und Hörschutz, Letzterer mit Hörschutz und Pressluftmeißel. Das Professionelle wirkt sich bei ihren Plastiken bis in die Nachnamen fort: Esche, Pappel, Eiche oder Granit, Basalt, Norwegischer und Russischer Labrador . . .

An Letzterem sah ich Klaus Müller-Klug auch einmal nur mit Fäustling und Handmeißel zugange. Das war während einer Skulpturenausstellung zwischen Reichstag und Kongresshalle – noch vor der Wende. Als ich hinkam, war der riesige Stein noch fast jungfräulich, also roh. Immer wieder ging Klaus um ihn herum. Dasselbe taten zur gleichen Zeit alle seine Bildhauerkollegen, die sich mit ihren Steinen auf der großen Wiese verteilt hatten. Es sah aus wie ein Bildhauerwettbewerb. Und das war es auch. Die meisten trugen eine blaue Latzhose, wie die Handwerker sie gerne tragen. Und wirkten sehr ernsthaft und konzentriert. Ihr Anblick hatte etwas Archaisches. Die letzten Handarbeiter! Proletkult, deutsche Wertarbeit! Aber auch die Osterinseln in progress, schoss es mir durch den Kopf, dann wandte ich mich ab.

Das war ein Fehler! Denn in den Jahren danach – da das Bildhauer-Ehepaar aufs Land zog – wurden wir hier (und speziell der sogenannte Skulpturenpark) von den letzten Proletariern geradezu überrannt, nachdem man sie zu Hunderttausenden „freigesetzt“ hatte. Nach und nach wieder eingestellt wurden sie dann von „Dienstleistungsbetrieben“. Statt Blaumann bekamen sie Fantasieuniformen oder – im gehobenen Segment – Anzüge, also ein cooles Outfit verpasst. Und da sind wir nun: Die Ausstellung der Holz- und Steinskulpturen findet denn auch in einem leer stehenden, edlen, großen Laden an der Ecke Markgrafen-/Behrenstraße nahe des Gendarmenmarkts statt, mitten zwischen Banken, Unternehmens- und Anlageberatern. Gesponsert wird sie von den Anwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern „Hecker, Werner, Himmelreich und Nacken“. Zufällig alles Namen und Begriffe aus der alten Berliner Arbeiterbewegung. „Mensch Bolle, wie haste dir verändert?!“, möchte man ausrufen. Die Herren wissen das jedoch selbst am besten, wie sie sich Tag für Tag mehr in ihre Luftgeschäftsprojekte verstricken, deswegen haben sie sich auch mit dieser absolut soliden Handarbeit im Parterre quasi geerdet. Einer bezweifelte, ob das der Fußboden überhaupt aushalten würde – besonders die Steinplastiken, „the elephant feet“.

Als ich abends zur Ausstellung, die „Skulpturen“ heißt, ging, kam ich am Gendarmenmarkt vorbei, wo gerade ein Film gedreht wurde. Plötzlich kam mir alles wie Attrappen vor, die ganzen neuen Paläste, Firmen und Straßenzüge – und sogar die Auslagen in den Schaufenstern. Lediglich dazu da, um der Welt zu zeigen, dass es ein neues Berlin gibt, dass es aufwärts geht. Erst angesichts der „Elefantenfüße“ und „Holz-Macchinas“ der Müller-Klugs legte sich das. Letztere heißen „Jericho“ (1, 2, 3, 4) und eine „Red Trumpet“, das aber nur am Rande. HELMUT HÖGE

Bis 5. 1., Do. und Fr. 16–19, Sa. 14–17 Uhr, Markgrafen- Ecke Behrenstraße