Hochzeit auf Amerikanisch

Silvesterzeit ist auch in Boston die Zeit, um für das kommende Jahr die Liste für den kosmischen Bestelldienst zu schreiben. Zwei Freundinnen machen Pläne für die Zukunft mit ihren Boyfriends, und die deutsche Besucherin notiert. Eine Erzählung

Karen wollte unbedingt Ehefrau werden. Lissy war sich noch etwas unsicher

von CHRISTIANE TEWINKEL

Einmal war ich zur Winterzeit in Amerika. Ich wohnte an der amerikanischen Ostküste, zusammen mit Karen und Lissy. Die beiden kannten sich seit der Schulzeit und hatten natürlich auch zwei gut aussehende Boyfriends, scharf gezogener Scheitel, gebügeltes Oberhemd: Jon und Rob. Karen war sehr klein und wollte dringend von Jon geheiratet werden, Lissy hingegen vertraute mir eines Tages an, dass sie manchmal nachts aufwachte und Rob anschaute und dachte: Wie, der soll es jetzt sein? Das hatte sie von ihrer Mutter. Lissys Mutter fand Rob unter der Würde ihrer Tochter, sie machte ihr gegenüber oft Andeutungen, dass er zu ärmlich sei, zu gutherzig, zu wenig Klasse habe. Manchmal rief die Mutter morgens an, wenn Lissy bei Rob übernachtet hatte, dann musste gelogen werden, sorry, Lissy ist bei einer Freundin, darf ich etwas aufschreiben? Die Mutter wollte nie etwas aufgeschrieben haben.

Kurz vor Weihnachten gab es eine Schneesturmwarnung für den Raum Boston. Eben noch waren wir im Park Schlittschuh laufen gewesen. Aus der öffentlichen Krippe hatte jemand das Jesuskind geklaut, auf der Eisbahn stolperten die Leute, die Bäume im Park waren bunt beleuchtet, und aus den Lautsprechern klangen alte Schlager. „Da kommt eure deutsche Umtata-Musik nicht gegen an, was?“, sagte Jon zu mir. „Klare Sache“, sagte ich. Bald nach Weihnachten fing es an, heftig zu schneien. Es schneite und schneite, es schneite stundenlang, aber das war es auch schon. Der angesagte Schneesturm war ein Gespinst der Wetterdienste, um die Zeit zwischen den Jahren aufzulockern. Vielleicht war es auch eine PR-Masche der Supermärkte, schließlich waren die Leute gleich nach den ersten Vorhersagen hamstern gegangen. Nachmittags rief ein Freund vom anderen Ende der Stadt aus an. „Totale Panikmache,“ sagte er. Ich schaute aus dem Fenster. Der Schnee rieselte leise. Draußen wurde geschippt. Ritsch, ratsch. „Ich bin enttäuscht“, sagte ich und beschloss, die Zeit zu nutzen. Egal, wo man ist, Berlin, Amerika, Kessebüren, zu Silvester muss man zurückschauen und die Liste für den kosmischen Bestelldienst schreiben. Was man sich jetzt wünscht, geht im Neuen Jahr in Erfüllung. Ich bat erst Rob, dann Karen und Jon zum Interview.

Rob saß mit übergelegter Wolldecke auf unserem Wohnzimmersofa. Die Wolldecke über den Beinen, der Nachmittagsschlaf, das war etwas, was Lissy an Rob hasste. „Großväterlich,“ sagte sie. Es war eine rote Wolldecke, aus soviel Polyester, dass sie im Dunkeln Funken schlug. Rob saß gemütlich da und lachte, weil ich mitschrieb bei allem, was er sagte. „Was waren die schönsten und schlimmsten Erlebnisse im letzten Jahr?“, fragte ich. „Geht’s nicht ein bisschen konkreter?“, fragte er und sagte, dass er einerseits Gewinne mit seinen Aktien gemacht hätte, andererseits aber viele Kunden verloren hätte. Geld war wichtig. Lissy hatte erzählt, dass Rob noch nicht genügend angespart hatte für den Ring für den Heiratsantrag und dass sie manchmal froh war über den Aufschub. Die Monate des zurückliegenden Jahres sah Rob durch das pastellfarbene Glas seiner Zuneigung zu Lissy. Am Neujahrstag war er mit ihr nach Vermont gefahren, im Februar nach Utah, im März hatte er Geburtstag gehabt, und Lissy hatte ihn in ein Restaurant eingeladen. Im April waren sie nach Maine gefahren, im Mai nach Cape Cod, im Juni auf Martha’s Vineyard und so weiter. Der Rest vom Jahr? Arbeit, Arbeit, Arbeit. Besuche in New York und Connecticut. Zu Weihnachten hatte Rob Lissy Skihosen geschenkt, dazu eine Halskette mit passenden Ohrringen. „Alles in allem“, sagte Rob, „gab es zwei Sachen, die ich mir noch nicht zugetraut habe. Ich bin nicht so richtig verreist, und . . .“ „Und?“, fragte ich. “. . . das andere sage ich nicht.“

Rob liebte Lissy, Karen liebte Jon. Lissy war sich vielleicht noch unsicher, Karen aber wollte unbedingt Ehefrau werden. Die Wohnung war tapeziert mit Fotos von ihren kleinen Neffen und Nichten, die Zielvorgabe war klar. Einmal brachte Karen eine Frauenzeitschrift aus dem Fitnessstudio nach Hause, in der es um metaphysischen Sex ging. „Sag, was du willst“, sagte sie zu mir, „das hat nichts mit Zauberei zu tun, das ist Liebe.“ Für Karen war das zurückliegende Jahr von einem einzigen Ereignis geprägt. Sie hatte Jon kennen gelernt, Finanzberater, groß, blond, gut aussehend, manchmal etwas albern. „Sei nicht so ekelhaft amerikanisch“, sagte sie zu ihm, wenn er zu laut lachte. Draußen schneite es noch immer. Ich setzte Karen und Jon aufs Sofa und fragte sie nach ihrer Silvesternacht vor einem Jahr. „Ich war in einer Bar“, sagte Karen. „Hatte gerade jemanden kennen gelernt, und dann kam der Typ, mit dem ich damals zusammen war, zur Tür herein. Da hatte ich zwei.“ „She’s a player“, sagte Jon und lachte dümmlich. „Und bei dir?“, fragte ich. Jon: Dasselbe. Bar. Aber ich habe niemanden kennengelernt. Ich: Hast du’s versucht? Jon: Schon. Ich dachte, ich sollte um Mitternacht jemanden küssen, und da habe ich eine Frau gefragt, aber die wollte nicht. Das war mir sehr peinlich. Karen: Wer würde dich nicht küssen wollen? Jon: Genau. Ich: Wann habt ihr euch kennengelernt? Karen: Das war am dreißigsten Mai, auf Cape Cod, auf einer Party. Ich: Und? Karen: Jon steckte seine Hände in meine Hosentaschen und wir gingen raus. Jon: Schreib das nicht auf. Karen: Und dann haben wir uns in Jons Auto geküsst. Jon: Das war mehr als ein Kuss. Der Lack ist schier abgeschmolzen. Karen: Wenn es um das letzte Jahr geht – das ist alles, woran ich mich erinnere. Dass ich dich kennen gelernt habe. Ich: Und du, Jon? Wo stehst du in deinem Leben? Jon: Ich glaube, ich bin bereit zu . . . Ich: . . . heiraten? Jon: . . . hm . . . Nein. Ich dachte eigentlich daran, mir ein Haus zu kaufen. Das ist mein größtes Ziel.

Zu Silvester gingen wir nach Boston in eine Bar, wo wir Papierhüte aufsetzten und uns betranken. Ein halbes Jahr später zog ich aus. Ich lud Lissy und Karen in meine neue Wohnung ein und kochte ihnen ein großes Essen. Lissy erzählte, dass der Heiratsantragsring für ihre Schwester Jennifer zehntausend Dollar gekostet hatte, Karen schwärmte vom Diamantring ihrer besten Freundin. Mein eigener Freund saß daneben und verdrehte die Augen. Nachts wachte ich schweißgebadet auf; ich hatte geträumt, ich sei noch immer in Europa und hätte die ganze große Reise nach Amerika, das viele Kofferpacken noch immer vor mir. Im darauffolgenden Winter rief Lissy mich an. „Stell dir vor“, sagte sie, „Jon und der Zwerg heiraten im kommenden Jahr.“ Das Haus hatten Karen und Jon schon; Karens geheimste Wünsche waren beim kosmischen Bestelldienst eingegangen. „Und du?“, fragte ich. „Total romantisch,“ sagte Lissy. „Ich war mit Rob zum Skifahren in Vermont, und auf einer Lichtung hat er angehalten und mich gefragt. Ein Ring für zwölftausend Dollar.“ Ich gratulierte ihr und dachte daran, dass ich meinem Freund unbedingt sagen musste, dass es auch ein Ring aus dem Automaten tut.