„Lei wie die Leitwährung“

Der kritische kroatische Haushaltsexperte Doktor Dragan Dor meint: „Der Euro darf nicht die letzte Antwort Europas auf Kroatien sein. Sonst droht die Dollar-Niederlage“

taz: Herr Dor, obwohl Sie Ihre Währung auf DM umgestellt haben, befürchten Sie am Jahresende keine Europrobleme – wie anderswo?

Dragan Dor: Auf Anraten unserer EU-Berater hatten wir zunächst eine eigene Währung, diese ließen wir in Deutschland drucken bzw. pressen. Eine erste Bilanz ergab dann, dass die direkte DM, mit der unsere Bürger sowieso bezahlen mussten, sozusagen kostengünstiger zu haben war. An den Euro ranzukommen düfte mit der ganzen DM kein Problem sein.

Aber gerade die kroatische Presse hat in letzter Zeit immer wieder vom Eurobetrug gesprochen . . .

Der so genannte Eurobetrug resultiert primär aus dem gesunden Volksempfinden. Wenn ich, sagen wir bei H & M in Split, die Auspreisung lese: „Ein Hemd 20 DM bzw. 10 Euro“ und mir gleichzeitig überlege, dass ich, sagen wir in einer Werbefirma 1.000 D-Mark im Monat verdiene bzw. 488 Euro. Dann steh ich da – in Split – plötzlich vor einer Dreisatzaufgabe, die ich jedoch – das ergab jüngst eine europaweite Schulprüfung – in den meisten Fällen nicht einmal im Ansatz zu lösen vermag. Dennoch ahne ich dumpf, dass da irgendwo der Wurm drinsteckt.

Der Verdacht ließe sich aber doch mit Taschenrechnern und Aufklärungsbroschüren leicht zerstreuen . . .

Die Betrugsvermutung des Bürgers – kroatischer Nationalität – geht aber ja weiter, denn die Praxis sieht noch komplizierter aus: Die alte jugoslawische Währung Lei gibt es nicht mehr und auch keinen Markt mehr dafür, dennoch wird sie weiter gehandelt, auch im Ausland. Für den Bürger – kroatischer Nationalität – ist der Lei sogar die Leitwährung – von der ausgehend er permanent losrechnet: Wenn ich früher 500 Lei verdient habe und in Split sagen wir 40 Lei Miete gezahlt habe, so denkt er – mal als Beispiel –, dann kann ich mir für das, was jetzt mit der Umstellung von DM auf Euro wieder bloß 500, weniger sogar: 488 sind es ja, höchstens noch 49 H-&-M-Hemden leisten – aber was mach ich mit der Miete, die jetzt schon 200 DM beträgt – und ab Januar sogar unverschämte 122 Euro.

Das ist doch Unsinn . . .

Ja, aber mit System. Jedenfalls geht der Bürger – kroatischer Nationalität – stets von der alten Grundwährung aus, die neue kroatische überspringt er einfach, dafür verheddert er sich dann aber um so mehr in der Willkür der DM-Euro-Umrubelungen, wie man das hier nennt.

Mal im Ernst, glauben Sie denn, dass bei Euro alles mit rechten Dingen zugeht?

Wenn der Zentralbankrat die Erhöhung des Lombardsatzes von der Tagesordnung absetzt, woraufhin der Euro schwankt und hier in Split sich die Verkäuferinnen tagelang die Beine in den Bauch stehen, dann ist das in der Tat sehr schwer zu vermitteln . . .

Sie meinen – den Wirtschaftszusammenhang?

Ja, beziehungsweise, dass in der Wirtschaft nicht immer alles zusammenhängen muss. Konkret, dass im neuen Kroatien nun zu viel gehandelt und zu wenig produziert wird, es hat da fast eine abstrakte Negation der staatlichen Lenkung der Wirtschaft statt gefunden. Und diese ging einher mit einer Flucht in immer neue Währungen. Wobei die Bürger – kroatischer Nationalität – einerseits bloß hoffen, dass die Geldautomaten dabei weiter mitspielen, andererseits geben sie ständig George Soros die Schuld, wenn nicht der Staatsbank.

Die kroatischen Banken sind aber doch alle privatisiert?

Ja, aber auch daran zweifelt der Bürger.

In der Vergangenheit gab es tatsächlich mehrere Unregelmäßigkeiten . . .

Wo gibt es die nicht . . . zumal in solch dynamischen Transformationsgesellschaften wie der unseren? Im Vergleich mit den Bankenskandalen Georgiens etwa steht unser Land aber sogar noch gut da. Außerdem haben wir jetzt gerade eine weitere Kontrollkommission eingerichtet.

Ich wundere mich immer, wie gelassen die Kroaten angesichts all dieser Unwägbarkeiten wirken . . .

Wir Kroaten sind ein stolzes Volk, das heißt jedoch nicht, dass wir völlig unempfindlich gegen Ungerechtigkeiten sind. Der Euro darf nicht die letzte Antwort Europas sein, man darf den Prozess damit nicht für beendet erklären. Anderswo ist der Dollar angekommen – und gut angenommen worden. Auch bei uns gibt es eine wachsende Zahl von Bürgern, die jetzt schon sozusagen euromüde sind. Und auch die Kroaten amerikanischer Herkunft sind naturgemäß ganz anders gepolt. Im Endeffekt könnte daraus leicht eine Bewegung zur Einführung des Dollars in Kroatien werden. Und das wäre dann auf Deutsch gesagt eine echte Niederlage.

INTERVIEW: HELMUT HÖGE