„Knallharter Verlust beim Schnorren“

Mecky lebt seit acht Jahren auf der Straße und befürchtet wegen des Euro mehr Konkurrenzkampf sowie Verdiensteinbußen

Leute mit Krawatte geben nur, wenn sie angesoffen aus der Kneipe kommen

Interview ULRICH SCHULTE

taz: Haste mal ’ne Mark?

Mecky: Nee, höchstens noch drei Groschen oder so. Der Spruch ist übrigens völlig out. Damit schnorren nur die, die noch keine Ahnung haben. Zwölf- bis Vierzehnjährige, die noch nicht lange auf der Straße leben. Sie haben das von anderen gehört und plappern es nach.

Und fragen künftig nach einem Euro?

Kann passieren. Aber garantiert nicht unsereins. Das ist einfach zu aggressiv, so kann man die Leute nicht angehen. Die schuften schließlich hart in ihrem Job, fahren jeden Tag fünfzig, sechzig Kilometer und sind froh, wenn sie abends ein bisschen frei und ihre Kohle haben. Und dann werden sie noch dreckig angeschnorrt. Das haut nicht hin.

Du hältst dich also eher zurück?

Ich sitze einfach hier, trinke mein Bierchen, bin auch nie besoffen und liege hier auf dem Boden rum. Inzwischen kenne ich die Leute, und sie kennen mich, ich sitze ja schon im achten Jahr unter der Brücke. Wenn sie gute Laune haben, geben sie was, wenn sie einen Scheißtag hatten, geben sie nichts. Dafür dann vielleicht morgen ein paar Groschen.

Demnächst keine Groschen mehr, sondern Cents.

Leider. Durch den Euro kriege ich mit Sicherheit weniger Kohle rein. Schon seit einem halben Jahr flaut es ganz rapide ab, weil die Leute so verunsichert sind. Wer mir vor ein paar Wochen einen Zwickel gab, also ein Zweimarkstück, gibt mir im neuen Jahr dann wahrscheinlich nur noch 50 Cent, also eine Mark – für mich bedeutet das einen knallharten Verlust.

Aber es ändert sich doch nur die Währung, nicht der Geldwert. Warum geben die Leute weniger?

Das verstehe ich auch nicht, aber es ist so. In den Augen der Menschen ist der Euro hochwertiger, das bekommen sie von den Medien eingebleut. Vielleicht geben sie deshalb weniger. Ich glaube, dass durch die Umstellung die Kriminalität zunehmen wird, es wird mehr Überfälle geben. Leute, die auf der Straße leben, müssen sich dann ihr Geld woanders besorgen. Für mich kommt das nicht in Frage. Doch in der Szene wird es rabiater werden. Mehr Ellenbogen.

Wenn jetzt schon Flaute herrscht – wie viel verdienst du denn so am Tag?

Für zwanzig Mark stehe ich hier stundenlang – selbst im tiefsten Winter

Dazu sage ich nichts.

Ist das dein Geschäftsgeheimnis?

Wäre es wirklich ein Geschäft, müsste ich doch auch Steuern zahlen. Was ich garantiert nicht tue. Aber es reicht so weit für mich, meinen Hund und ein Bierchen.

Welche Ausgaben hast du täglich?

Lebensmittel, ein bisschen Gemüse vielleicht. In Suppenküchen gehe ich aus Prinzip nicht. Dann Zigaretten, darauf will ich nicht verzichten. Und Hundefutter für Cäsar, meinen Schäferhund-Rottweiler-Mischling. Er frisst drei Büchsen Rind oder Geflügel täglich, dazu ab und zu Mischfutter. Unter zwanzig Mark komme ich da auf keinen Fall weg. Dafür stehe ich aber auch jeden Tag hier stundenlang, selbst im tiefsten Winter, und spiele mit meiner Gesundheit.

Welche Leute geben am meisten?

Die älteren. Die suchen teilweise auch das Gespräch, weil sie allein sind. Dann reden wir, meist über die Vergangenheit – den Krieg, die DDR. Mit der Zeit bekommt man einen Blick dafür, wer etwas gibt. Ganz schlimm sind die Schlipsträger.

Wer gut verdient, wird geizig?

Der Spruch „Haste mal ’ne Mark?“ ist völlig out. Damit schnorren nur die Ahnungslosen

Auf jeden Fall. Leute mit Krawatte geben nur, wenn sie angesoffen aus der „Ständigen Vertretung“ kommen, einer Bonner Nobelkneipe um die Ecke. Aber wenn sie was über haben, dann richtig. Mein tollstes Erlebnis hatte ich aber mit einem Normalbürger. Da stand ich hier vier Stunden lang unter der Brücke und hatte gerade mal 3,80 Mark geschnorrt. Ich war stinksauer. Die habe ich dann einem gegeben, der in die Kneipe wollte. Mit dem Spruch: Hier, geh ein Bier trinken! Nach zwei Stunden kam er wieder raus und drückte mir einen Hunni in die Hand. Und meinte nur: Danke fürs Bier. Das ist aber nur ein einziges Mal passiert.

Was sind klassische Ausreden, wenn einer nichts geben will?

„Ich habe momentan kein Kleingeld“, zum Beispiel. Oder: „Auf’m Rückweg.“ Die kommen aber nie wieder. Seltsam. Ich weiß nicht, wie lang deren Rückweg ist. Es kann ja sein, dass die mit dem Bus bis Spandau fahren und dann die Buslinie vergessen. Wer weiß. Es gibt ja viele Busse.

Du scheinst die Dinge locker zu sehen. Bist du glücklich mit deinem Leben?

Glücklich nicht. Aber ich bin ganz zufrieden mit dem, was ich für mich hinkriege. Klar, teilweise könnte es schon besser gehen. Ich warte das nächste Jahr noch ab – mal sehen, wie es läuft. Wenn’s ganz schlimm wird, muss ich Cäsar abgeben. Das wäre wirklich krass, aber als Erstes komme immer noch ich.