strafplanet erde: das neue geld und die strampelnden rümpfe von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Machen wir uns nichts vor, machen wir’s uns erst mal bequem im, Moment, auch schon wieder einen Tag alten Ja! Dann wandert jetzt der Blick, genau in dieser historischen Sekunde, vom Schreibtischfenster aus auf ein topaktuelles Objekt, einen zentralen Ort der Gegenwartsbeobachtung, auf den Eingang der Sparkassenfiliale an der Straßenecke gegenüber. Dorthin, wo man Geld kaufen kann. Das besondere Angebot heute: frisches Geld unter neuem Namen. Hei, ist das eine Balgerei, hätte Wolfgang Neuss angesichts des nervösen Trubels möglicherweise sich selbst zitiert. Die Menschenreihen ziehen sich bis Anno 48 „vor der Währung“. Jeder will der erste sein, die Frauen nicht minder. Nicht der Geldautomat soll die Knete ausspucken, sondern vom Personal, gar höchstpersönlich vom Filialleiter ihres Vertrauens möchten die Menschen die neue Währung bar auf die Kralle.

Ich bin froh, kein Journalist zu sein, dessen Ethos angeblich zur Recherche zwingt. Also live und quasi outdoor hinunter ins Geldautomatenfoyer oder mitten hinein ins Flachdachgebäude, wo die Kunden extrem bescheuerte Fragen stellen, etwa ob denn ihr Sparbuch noch gültig sei oder ob man etwa Euros aus Italien in Deutschland benutzen könne! Im Gegensatz zu den Kunden und in einem weiteren Gegensatz zum Geld, dem „nomadischen Objekt schlechthin“, bleibe ich sesshaft und habe nur der Zeitung entnommen, dass auf den Scheinen Brücken, Tore, Türen und eben Fenster abgebildet sind, kaum noch Kopf oder Konterfei bedeutender Personen wie früher.

Und jetzt kommt die furiose Wende: Ein ähnlich geartetes, wenn nicht sogar irgendwie identisches Phänomen erlebte ich – kurios, kurios – vor wenigen Tagen im Souterrain eines Hallenbades am Unterwasserfenster. Man sieht aus einer Tiefe von drei oder vier Metern oben die Menschen schwimmen. Man sieht ihre Gliedmaßen, ihre Körpermassen, aber höchst selten ihren Kopf. Der ist futsch, abgeschnitten von der Wasseroberfläche, tunkt nur wackelnd manchmal ein bei den paar Leuten, die des Kraulens mächtig sind. Aber eigentlich sind alle nur am Strampeln, ja, selbst die elegantesten Schwimmer sehen von der Kehrseite, von unten aus wie mühevoll Wellen schlagende Kleinkinder ohne Schwimmhilfe, die nicht untergehen, ertrinken wollen, und weniger wie Mark Spitz oder . . . wie heißt sie noch, die Berlinerin, die mit dem Handballprofi liiert ist?

Um diesen Blick vom Unterwasserfenster ins Bedeutungsschwere zu heben, müsste jemand vom Schlage eines Lichtenberg sich das mal ankucken, sich etwas dazu einfallen lassen, ein Aperçu, einen Aphorismus, ein Gleichnis, eine Parabel, was weiß ich. Mir bleibt nur, damit dieser Text endlich einen Gebrauchswert hat, die buchhalterische Prosa, der Hinweis auf einen der wichtigsten Gedenktage dieses Jahres: Am 10. August vor einhundert Jahren stellte der Engländer John Arthur Jarvis beim Internationalen Schwimmmeeting in Wien den neuen „Kriechstoßstil“ vor, den er „Crawl“ nannte. Er schwamm so schnell, dass er von meinem Fenster aus längst nicht mehr zu sehen ist.