Weiter Sand im Getriebe trotz Öl

MOSKAU taz ■ Russlands einziger landesweiter unabhängiger Fernsehsender TW 6 darf vorerst weitersenden. Ein föderales Schiedsgericht annullierte jetzt die vor drei Monaten getroffene Entscheidung einer niederen Instanz, die ein Insolvenzverfahren gegen den Sender angeordnet hatte, und wies den Fall zur Neubefassung an diese zurück. Das Urteil kam für die meisten Beobachter überraschend.

Im Sommer hatte Russlands größter Ölkonzern Lukoil, mit einem 15-prozentigen Anteil TW-6-Aktionär, die Liquidierung beantragt. Der Ölmagnat stützte sich auf ein Gesetz, das Aktionären erlaubt, ein Unternehmen aufzulösen, wenn die Erlöse ein bestimmtes Minimum unterschreiten. Das Gesetz trat gestern außer Kraft. Daher ließ der einflussreiche Ölgigant den zunächst für Januar anberaumten Gerichtstermin auf den letzten Arbeitstag 2001 verlegen. Dass sich das Gericht darauf einließ, wurde als Indiz dafür gewertet, dass die Auflösung des kremlkritischen Senders beschlossene Sache sei. Von vornherein galt als ausgemacht, dass es sich nicht um eine wirtschaftliche, sondern um eine politische Auseinandersetzung handelt.

Im Frühjahr war es dem Kreml gelungen, dem kritischen Fernsehsender NTW in einem ähnlichen Rechtsstreit das Wasser abzugraben. Gegen NTW schickte der Kreml den halbstaatlichen Gaskonzern Gasprom an die Front, zugleich Gläubiger des Senders und Aktionär. NTW-Gründer Wladimir Gussinsky befindet sich seit einem Jahr im selbstgewählten Exil. Ins Ausland abgesetzt hat sich auch Boris Beresowski, dem zu drei Vierteln TW 6 gehört. Einst graue Eminenz, fiel er nach Boris Jelzins Rücktritt im Kreml in Ungnade. Daraufhin versuchte er, sich als Kopf einer Oppositionsbewegung gegen Präsident Wladimir Putin zu profilieren.

Der Feldzug gegen NTW kam ihm wie gerufen. Viele Journalisten wechselten zu TW 6. Dass Beresowski den geschassten NTW-Direktor Jewgeni Kiseljow zum neuen Chef von TW 6 ernannte, war indes eine Kröte, die der Kreml zunächst nicht schlucken wollte. Ob sich der Kreml auf leisen Sohlen davongestohlen hat oder die Entscheidung unabhängigen Richtern zu verdanken ist, wird sich zeigen. Eins steht indes fest: Kritischen Stimmen fällt es zunehmend schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Macht bevorzugt Monolog und Eloge. KLAUS-HELGE DONATH